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Kundige

Das Unterwegs-sein im Zwischenraum führt unentwegt zu neuen Erfahrungen, denn weiterzukommen erfordert kreative [[wiki:liste_kundige|Problemlösungen `en route´ außerhalb von Routinen. Wer so unterwegs ist, wird zum `Kundigen´, siehe die

→ Liste der Kundigen
→ Listen von Figuren
→ Zeitleiste beispielhafter Figuren

Vagabunden werden auch als Kunden bezeichnet, jedoch nicht im Sinne von 'Käufer'. Begegnete man sich auf der Straße, wurde auf die Frage »Ken?« geantwortet mit »Ken Mathes«. Aber nicht der Mathias ist gemeint, sondern die »Medine« (der Bezirk, der hier auch als Zwischenraum verstanden werden kann, aus dem jiddischen ins Rotwelsche übernommen 1) ) und bedeutet: »Ich kenne mich aus«. Jeder Kunde hatte seine Kundschaft, einen Ausweis, mit Belegen aller Stationen des Wanderweges (1731 durch Reichsverordnung bestimmt).

Kunde ist der abstrakte Begriff zum Verb `kennen´ im Sinne von Kenntnis haben und erhält eine schillernde und wechselhafte Bedeutung 2), die sich auch in der Sprache der Kundigen, dem Kundenschall spiegelt:

  • Der Kunde im ursprünglichen Sinne ist jemand, der von anderen gekannt ist und sich dadurch vom Fremden unterscheidet, ohne jedoch ein Gast zu sein, man kennt sich eben. Im Laufe der Zeit wertet der Begriff ab zum Kerl, Kumpan, Zechgenossen, Landstreicher. Im Rheinland ein pfiffiger Kerl, loser Schalk, durchtriebener Gast.
  • Aus anderer Perspektive ist der Kunde jemand, der über ein Wissen verfügt:
    • als Bote verkündet er Kunde, Nachrichten, Neuigkeiten;
    • als Fahrender erkundet er Wissen;
    • als Tippelkunde (Vagabund) weiß er, wo etwas zu holen ist (kundforschen).
  • Indogermanisch 3) wurzelt *cunde in der Frage nach dem wie, wo, was, warum und vielleicht daher im Niederrheinischen auch einen Wegweiser bezeichnend.
  • Das Deutsche Rechtswörterbuch zitiert Belege ab 1378, die die synonyme Bedeutung erkennen lassen für:
    • furer addir kunschefter
    • erfarer, außspeer vnnd kunndschaffter
    • die heimlichen kundschafter, verspaͤher
    • absager, kundschafter, öffentliche straßenrauber
    • heimliche kundschafter und brieftraͤger

Funktionen von Kundigen für Reisende

Ein Kundiger kann durch seine speziellen Kenntnisse dem Reisenden vorübergehend ein helfender Begleiter im Zwischenraum sein, indem ihm bestimmte Funktionen zugewiesen werden, etwa als

Camouflage: Schein und Sein

Es gibt ein natürliches Mißtrauen gegenüber jenen, die Informationen sammeln, weil aus Informationen Vorteile gewonnen werden können. Unter dem Oberbegriff des Reisenden finden sich eben auch Kundschfter, Späher, Spione, Scouts, Agwenten, Diplomaten, Boten - die Übergänge sind fließend. Einige Voraussetzungen erleichtern den investigativen Informationsaustausch:

  • Erstens, der Zuhörer gehört zum System und wird nicht als Eindringling (trespasser) wahrgenommen;
  • Zweitens, der Zuhörer gibt etwas von sich preis;
  • Drittens, der Zuhörer ist jemand, der kommt und wieder geht;
  • Viertens, der Zuhörer lenkt davon ab, dass er zuhört;
  • Fünftens, das Speichern der Informationen geschieht nicht öffentlich sondern verdeckt (clandestin).

Insbesondere Fahrende Händler, Pilger und Schausteller erfüllen diese Voraussetzungen und bieten daher die beste Camouflage, undercover tätig zu werden. Geeignete Mittel dazu sind:

  • gruppentypisches Verhalten und Benehmen
  • deren Jargon zu beherrschen
  • den informellen Dresscode durch die richtige Reisekleidung auszudrücken.

So reisten vielfach Frauen in Männerkleidung.

Literatur

  • Eley, T., Northon, C.
    Geography Undercover.
    Geographical Review, 91.1–2 (2001) 388–398. DOI Online
  • Fisher, J.
    Gentleman spies in asia.
    Asian Affairs, 41.2 (2010) 202–212. DOI
    Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden Informationen über die Türkei, den Kaukasus und Zentralasien politisch zunehmend bedeutsam. Die frühesten und umfassendsten Informationen stammten von Reisenden, beurlaubten Beamten, Zivilisten und Entdeckern. Deren Tätigkeiten wurden institutionell professionalisiert. Protagonisten sind hier: William Childs, Norman Bray, Reginald Teague-Jones, Ely Sloane.
  • Franklin, Yvette Prinsloo
    (Un)Packing Your Backpack : Educational Philosophy Positionality and Pedagogical Praxis.
    Dissertation. University of Tennessee Knoxville 2012. Online
  • Göckenjan, Hansgerd
    Kundschafter und Späher. Ein Beitrag zur Strategie und Taktik reiternomadischer Kriegsführung.
    Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae, 53.3-4, (2000) 187–202. Online
  • K. Hamilton
    Dervishes, Dracula and Diplomacy: Arminius Vambery and the British Foreign Office.
    S. 8–13 in: The Records of the Permanent Under-Secretary's Department: Liaison between the Foreign Office and British Secret Intelligence, 1873–1939. FCO Historians, 2005.
    Hermann (= Ármin, Arminius) Vámbéry (=Wamberger) (1832−1913) konvertierte zum Islam, war ein ungarisch-österreichischer Orientalist, Turkologe, Reisender und vermutlich auch Geheimagent in britischen Diensten, der zum Islam übertrat.
  • Alexander Honold
    Pfadfinder. Zur Kolonialisierung des geographischen Raumes.
    S. 137−156 in: Alexander C.T. Geppert , Uffa Jensen und Jörn Weinhold (Hg.): Ortsgespräche : Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert. Bielefeld 2005: transcript. DOI
  • Ahmet Içduygu, Sule Toktas
    ‘ow do smuggling and trafficking operate via irregular border crossings in the Middle East? Evidence from fieldwork in Turkey
    International Migration 40 (2002) 25–54.
  • Knut Ipsen
    Der Militärattaché. Völkerrechtliche Stellung und gegenwärtige Staatenpraxis
    Jahrbuch für Internationales Recht Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 1970. S. 152-201
    Als Vorläufer des Militärattachés nennt Ipsen militärische Kundschafter, die sich als Reisende ausgeben sowie als Diener verkleidete Offiziere im Gefolge von Gesandten.
  • Sharam Khosravi
    The ‘illegal’ traveller: an auto-ethnography of borders
    Social Anthropology/Anthropologie Sociale (European Association of Social Anthropologists) 15.3 (2007) 321–334. DOI
    =Le Voyageur 'Clandestin', El Viajero 'Ilegal'
  • Thomas Lediard
    Der deutsche Kundschafter: in Briefen eines durch Westphalen und Niedersachsen reisenden Engländers.
    Aus der zweyten Londner Ausgabe von 1740 übersetzt von U., dem Verfasser des Kameralisten. [24] Bl., 552 S. Paderborn 1764: Meyer Universitätsbibliothek. Online
  • O’Sullivan, A.
    Prologue: Of Spies, Scouts, and Cover.
    The Baghdad Set. Palgrave Macmillan, Cham 2019. DOI
    Eine Erzählung über das Geheimleben zweier Freunde, Freya Stark und Adrian Bishop, Reisende und Freunde, waren auch für den britischen SIS tätig. Der Band untersucht die verschiedenen Arten und Rollen von Geheimdienstmitarbeitern und diskutiert das Konzept des Scouts.
  • Parsons, J.J.
    Geography as Exploration and Discovery.
    Annals of the Association of American Geographers 67.1 (1977) 1-16.
  • Shepard, Jonathan
    An undercover agent in Rus? Two letters of Niketas Magistros to John Mystikos.
    Byzantinoslavica-Revue internationale des Etudes Byzantines 78.1−2 (2020) 63−75.
  • Andrea Thiele
    Von Kundschaftern und Kundschaft. Soldatenhandel und Wissenszirkulation zwischen Sachsen-Gotha und den Niederlanden im 17. und 18. Jahrhundert.
    S. 153–172 in: Kann, Oliver; Schwarz, Michael (Hg.): Militär und Gesellschaft in der frühen Neuzeit 22 (2021), Potsdam 2021, Universitätsverlag Potsdam. DOI
1)
„Medine, f.“, Pfälzisches Wörterbuch, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/PfWB?lemid=M01348>, abgerufen am 26.01.2022
2)
„kunde, m.“, Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemid=K16137>, abgerufen am 26.01.2022.
3)
Stamm kʷu-
wiki/kundige.txt · Zuletzt geändert: 2024/08/03 03:02 von norbert

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