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wiki:das_ende_der_welt

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Das Ende der Welt

Raumvorstellungen

  1. Die konkrete Erfahrung, geographisch so am Ende der Welt angekommen sein, dass der Weg nur zurückführt und kein anderes Ziel sichtbar erscheint, lässt sich insbesondere an ausgesetzten und erhöhten Orten (Vorgebirge) an den Küsten der Ozeane gewinnen, weil andere Gewässer zu umgehen sind oder ein jenseitiges Ufer erkennen lassen. Damit verbunden sind Vorstellungen von Rand, Peripherie, Isolation, Frontier als einer Grenze zwischen Leben und Tod, zwischen Oikumene und Wildnis.
  2. Die vielleicht älteste Vorstellung findet sich beschrieben von Virgil in Aeneis, Buch VI, wo das verheißene Land jenseits von Atlas und Zodiac verortet wird, während der Terminus finis terrae erst später dem Virgil beigelegt wird („ubi aqua maris finitur, ita & finis terrae, quae litore jungitur.“ 1) )
    1. Amilcar Guerra
      First Century BC. Where Does the World End?
      S. 48-51 in: Carlos Fiolhais, José Eduardo Franco, José Pedro Paiva: The Global History of Portugal: From Pre-History to the Modern World. Brighton 2022: Sussex Academic Press.
      Mit Verweisen auf Strabo, die drei iberischen Vorgebirge (promontorium), die dort ausgeübten Kulte (phön. Melqart? röm. arae Sestiane?) und den Positionsangaben bei Ptolemäus.
  3. Die ältesten Ortsnamen für das Ende der Welt scheinen alle entweder in Europa zu liegen oder sind europäisch benannt und damit aus europäischer Perspektive entstanden. Ob es eine vergleichbare chinesische, afrikanische oder indianische Perspektive auch gibt? Literatur dazu war nicht zu finden.
  4. Kap Finisterre (lat. finis terra, das Ende der Erde) im Nordosten Spaniens an der galizischen Küste wurde in der Antike und im Mittelalter für das westliche Ende der bewohnten Welt gehalten, galt als äußerste Grenze (la última frontera).
    1. Etwa ab dem Jahr 100 galt Finis mundi (lat. das Ende der Welt) als westlichster Punkt Europas, die Halbinsel Punta de la Orchilla auf der Kanarischen Insel El Hierro in der Gemeinde El Pinar, bis der Weg zu den Kanarischen Inseln vergessen und erst im 14. Jahrhundert wiederentdeckt wurde. Hier wurde 1634 auch der geographische Nullmeridian festgelegt, bis dieser 1885 nach Greenwich verlegt wurde.
  5. Meist wird Welt gleichgesetzt mit »der uns bekannten, erlebbaren Welt«, also einem mehr oder weniger großen Raum auf der Erde, mit unterschiedlichen Sphären und Grenzen, an deren Enden das abolute Nichts (lat. vacuum) wartet, die gähnende Leere (altgr. χάος cháos, altnord. ginungagap), ein Maelstrom 2), eine Wüste 3).
    In Werner Herzogs Film Herz aus Glas (1976) wollen vier Männer ans »Ende der Welt« gelangen, um zu sehen, ob dort wirklich ein Abgrund ist:
    »Ja, und dann brechen sie auf, pathetisch und sinnlos, in einem viel zu kleinen Boot.«.
    Von der Leere geht ein Sog aus, der als Schwindel empfunden wird, als l'appel du vide, call of the void: gezogen und getrieben von einem unterschwelligen Impuls, von den Klippen in den Abgrund zu springen, daher auch: high place phenomenon.
  6. Seit die Erde als Kugel betrachtet wurde und seit ihre Oberfläche vermessen ist, wird immer der am weitesten entfernte Ort zum Ende der Welt. Damit wirbt Neuseeland als »schönstes Ende der Welt« und damit werben auch Reiseberichte:
    1. Messner, Reinhold
      Bis ans Ende der Welt: Herausforderungen im Himalaja und Karakorum.
      München 2014: Malik.
    2. Aders, Thomas
      Über die Anden bis ans Ende der Welt.
      Ostfildern 2016: DuMont
  7. Als Metapher wurde die Bezeichnung als Ende der Welt auf viele geographisch ausgesetzte Punkte übertrage und gaben dann wohl die Empfindung der (europäischen ) Entdecker wieder:
    World's End, World's View, Land's End, Edge of the World, Verdens Ende, Le Bout du Monde, Weltende bezeichnet. Umschrieben werden damit Eigenschaften wie einsam, schwer zu erreichen, abgelegen, nur eine Zufahrt, ausgesetzt durch Höhe oder umspült vom Wasser.
  8. Mit der Kartografierung der Kontinente wurden deren »Zipfelpunkte« zum Ende der Welt. So endet die Panamericana bei Ushuaia am südlichsten Zipfel Amerikas, dem Fin del mundo.
    Der südwestlichste Zipfelpunkt Europas findet sich bei Sagres in Portugal; die dort aufgefundene überdimensionale Windrose wird gerne mit Heinrich dem Seefahrer (1394-1460) verbunden und dessen Auftrag ins Unbekannte zu segeln. In den Zipfelregionen finden sich manchmal Museen und Ausstellungen zu Reisenden und Forschern:
    1. das Museo del Fin del Mundo in Ushuaia mit Ausstellungen zu Gunther Plüschow (1886-1931), Julio Popper (1857-1893) und Augusto Laserre (1826-1906), zu den Selkńam und Yámana, über Expeditionen, »cartographer and shipwrecks«, Anglican und Sallesian Mission 4)
    2. das Polarmuseum in Tromsø und auf Sørøya, mit Ausstellungen über norwegische Polarexpeditionen;
    3. das Robben Island Museum auf der Gefängnisinsel vor Kapstadt;
    4. die Casa de Colón in Las Palmas de Gran Canaria widmet sich den Reisen des Christoph Columbus;
    5. das Wladimir-Arsenjew-Museum in Wladiwostok, benannt nach dem Forschungsreisenden Wladimir Klawdijewitsch Arsenjew (1872-1930), da es aus dessen Sammlungen über den Fernen Osten und Ostsibirien hervorgegangen ist.
    6. das Sitka History Museum in Alaska verbindet Exponate der Tlingit mit russischen Wurzeln und Einwandern aus dem Westen ab 1740.
  9. In Kosmologien dagegen entfernt sich das Ende der Welt von der Erfahrung und wird zum Artefakt, abgeleitet aus einem Modell, und drückt ein Nicht-Wissen aus über (lat. Terrae incognitae), die zu Weißen Flecken schrumpfen, bevor sie als Niemandsland (lat. terrae nullius) abgegrenzt werden können. In der Antike bildete sich die Vorstellung von Zonen mit bestimmten Eigenschaften (z.b. die verbrannte Zone, gemäßigte Zone, kalte Zone), die im Mittelalter als Sphaeren bezeichnet wurden, dann aber auch auf Himmlische Sphaeren erweitert wurden.
    • Fritz Krafft
      orbis (sphaera), circulus, via, iter, orbita.
      Zur terminologischen Kennzeichnung des wesentlichsten Paradigmawechsels in der Astronomie durch Johannes Kepler[1571-1630].
      Beiträge zur Astronomiegeschichte 11 (2010) 25–99 (Acta Historica Astronomiae, 43)
  10. Im weitestgehenden Sinne das Ende aller Welten, also im christlichen Glauben der Tag des Jüngsten Gerichts und für Naturwissenschaftler der Zeitpunkt maximaler Entropie, jedenfalls der Untergang der Welt: engl. doomsday, altnord. ragnarök.

Literatur

  • Reinhold Bichler
    Die Fahrt zu den Grenzen der Erde. Von Herodot bis zur Alexander-Historiographie.
    Gymnasium 118 (2011) 315-344 = Latein Forum 85/86 (2015) 45
  • Anna-Dorothee von den Brincken
    Fines Terrae.
    Die Enden der Erde und der vierte Kontinent auf mittelalterlichen Weltkarten.
    Hannover 1992 (Monumenta Germaniae Historica, Schriften 36)
1)
Opera P. Virgilii Maronis. … Georgii Fabricii Chemnicensis obseruationes Virgilianæ lectionis. Ex typographia Joannis Kyngstoni, Londini, M.D. LXXVI. [1576]
2)
Edgar Allan Poe
A Descent into the Maelström (Eine Fahrt in den Maelstrom)
Kurzgeschichte 1841
3)
Das Leere Viertel, die größte Sandwüste der Erde, die الربع الخالي ar-Rubʿ al-Chali
4)
Alicia Lazzaroni, Silvia Lousto: Museum of the End of the World. Museo del Fin del Mundo. 27 S. Katalog. Ushuaia, Tierra del Fuego, Argentina 2001: Museum of the End of the World.
wiki/das_ende_der_welt.1701641770.txt.gz · Zuletzt geändert: 2023/12/03 22:16 von norbert

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