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wiki:wagenbau

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Wagen

Fahrzeuge entlasteten den Menschen vom Gepäck und ermöglichte den Transport größerer Lasten als dies zuvor mit dem Lasttier möglich war. Der Mensch hatte für sich als Gepäckträger bereits umfassende Tragetechniken entwickelt, die nun an Zugtiere und Wagenladung angepasst wurden. Idealtypisch vereinfacht wurden vor der Erfindung von selbstangetriebenen Fahrzeugen (Eisenbahn, Automobil) folgende Möglichkeiten häufig genutzt:

TransportmittelRäder Achsen Antrieb Konstruktionsprinzip
Stangenschleife 0 0 Mensch, Hund, Zugtiere zwei lange Äste mit Querästen
zu einem Dreieck gebunden
Schlitten 0 0 Mensch, Hund, Zugtierezwei lange geformte Äste
als Kufen unter einem Boot
Schubkarre 1 1 Mensch eine Stangenschleife mit einem Rad
ein Korb mit Achsgabel, Rad und zwei Stangen
Dreieckswagen 2 1 Mensch, Hund, Zugtiere eine Stangenschleife mit einer Achse und zwei Rädern
Karre 2 1 Mensch, Hund, Zugtiere ein Behälter
auf einer Achse mit zwei Rädern
Wagen 3 2 Zugtiereeine Stangenschleife
auf zwei Achsen mit 3 Rädern
Wagen 4 2 Zugtiereein Schlitten auf zwei Achsen mit 2×2 Rädern

Rad und Wagen

Die ältesten Funde von Wagenteilen und Zeichnungen von Wagen sowie Tonmodelle von Wagen finden sich um 3.500 vor Christus im nordwestlichen Europa, so etwa Räderspuren in einem Grab in Flintbek, Schleswig-Holstein. Zweirädrige Wagen mit kleinen Rädern um 50 cm Durchmesser wurden in bergigen Gebieten verwendet, vierrädrige Wagen mit großen Räden bis 80 cm Durchmesser in Steppengebieten. Technische Vorläufer waren Schlitten, die auf ein Fahrwerk mit Rädern gestellt wurden oder Stangenschleifen als Dreieckswagen auf zwei Rädern 1), die eventuell bereits früher verwendet wurden (3.700 v. Chr. )

Innerhalb von rund 300 Jahren verbreitete sich der Wagenbau rasant, wobei mit jedem Verbreitungsschritt Änderungen und Verbesserungen zu beobachten sind 2). Auch in den beiden anderen Zentren der Nutzung - in den russischen Steppen zwischen Karpaten und Kaukasus sowie zwischen Levante und Mesopotamien - diente das Rind als Zugtier; die Rinderhaltung ist in Argissa-Magula in Thessalien erstmals belegt.

Da sich viele Begriffe für Wagenbestandteile (Achse 3), Deichsel, Joch, Pflug, Rad 4) und Wagen) in fast allen indogermanischen Sprachen auf gleiche Wurzeln zurückführen lassen, datiert man das gemeinsame Urindogermanische auf denselben Zeitraum.

Wagen & Tier

Der Wagenbau ist Teil der neolithischen Revolution: um 7.000 vor Christus begann der Ackerbau in Europa, gegen 3.000 war er überall in Europa verbreitet. Und er ist Teil der Steinzeit, denn die Bronzezeit begann in Europa erst um 2.200 vor Christus. Das Pferd kommt als Zugtier erst nach Erfindung des leichten zweirädrigen Streitwagens in Frage, und wurde um 2300 vor Christus in der Levante erstmals eingesetzt.

Der Hund ist das älteste *Zugtier, das der Mensch nutzte, entweder für eine Stangenschleife oder für den Schlitten. Die Domestikation des Hundes war bereits in der Jungsteinzeit vollzogen, lange bevor der Mensch seßhaft wurde und Ackerbau betrieb, und erfolgte in Mitteleuropa 5).

Jede Domestizierung veränderte auch den Menschen. Der Hund wurde Wächter und half beim Jagen. Wer Ziegen hält, muss den Beruf des Hirten erfinden. Der Esel ermöglicht es, Karren ziehen zu lassen und erweitert den Bewegungsradius. Mit dem Rind kamen Pflug und Wagen, aber auch die soziale Hierarchisierung. Mit dem Pferd und der Erfindung von Speichenrädern wurde der Streitwagen möglich, Kriege veränderten sich. Und mit dem Kamel ließen sich die Trockengebiete vom Atlantik bis nach Zentralasien erschließen. Dabei musste man das Zaumzeug erfinden, Packtaschen, Sättel, Zuggeschirr, das Joch und natürlich lernen mit den Tieren richtig umzugehen.

Die ältesten (Hirten-)götter der indogermanischen Völker nutzen jedoch Ziegenwagen: Hermes, Merkur, Pan u.a. 6) Es dürfte also eine archäologisch bisher nicht nachgewiesene Phase mit leichten zweirädrigen Wagen gegeben haben, die von Ziegen gezogen wurden 7). In Mitteleuropa ist die Ziege seit etwa 6.000 vor Christus domestiziert. Der Übergang von der nomadischen zur Ackerbaukultur erfolgte in Europa zwischen 7.000 und 4.000 v. Chr.

Verkehrssysteme

Von 3.500 vor bis etwa 1800 nach Christus wurde ein System optimiert, bestehend aus Fuhrmann, Fuhrwerk, Naturstraße und Zugtier. Dann führten Bevölkerungswachstum, Industrialisierung, Agrarrevolution zur Überlastung der Verkehrswege; Schienenwege und Kanäle boten nur begrenzt Ersatz. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die Transportmethoden revolutioniert. Die Dampfmaschine ermöglichte die Eisenbahn, die Feinmechanik das Fahrrad und der Verbrennungsmotor den Verzicht auf Zugtiere (»Auto«-mobil).

Der nachfolgende Systemwechsel erforderte grundlegende Innovationen: eiserne Achsen, andere Räder, bessere Bremsen, andere Lenksysteme, neue Antriebe, Schmierstoffe, anderer Straßenbau, Normierungen … Erstmals befasste man sich systematisch mit den dazu gehörigen Grundlagen 8) Die komplexen Vorgänge und Beziehungen beschreibt sehr ausführlich Edith Saurer 9); siehe auch die Zeitleiste in * Geländefahrzeuge.

Bauwagen, Jagdwagen, Schäferkarren und Schlupfkarren, Zigeunerwagen, Zirkuswagen usw. werden auch heute noch nach historischen Vorbildern gebaut und können auch eine Straßenzulassung erhalten.

Rad und Wagen in der Welt

Rätselhaft erscheint, weshalb sich keine vergleichbare Entwicklung in der übrigen Welt finden lässt: in beiden Amerikas, in Australien, Afrika außerhalb Ägyptens und in Ostasien. Die üblichen Erklärungsansätze klären jedoch nicht die Widersprüche:

  • Der Schlitten und der Schlittenhund als Zugtier waren im Nordpolargebiet, also auf drei Kontinenten bekannt. Auf der ostsibirischen Zhokhov Insel wurde Hundezucht vor 9.000 Jahren nachgewiesen; die Forscher schätzen, dass Schlittenhunde seit 15.000 Jahren eingesetzt wurden 10)
  • Das sich drehende Rad ist ideengeschichtlich zuerst bei der Töpferscheibe genutzt worden, vermutlich von der Indus-Kultur im 5. Jahrtausend v. Chr., sicher in Mesopotamien im 5. Jahrtausend v. Chr.
  • In China war das Rad bekannt; es wurden jedoch überwiegend Schubkarren genutzt.
  • In ganz Asien wurde das domestizierte Rind zum Ziehen von Pflügen eingesetzt (z.B. Wasserbüffel).
  • In Südamerika war das Rad bekannt; es wurden aber nur Wagenmodelle (als Spielzeug?) gebaut. Mit Hund und Lama waren nur begrenzt domestizierte Tiere verfügbar.
  • Im nördlichen Nordamerika waren Schlitten und Schlittenhunde bekannt, aber nicht das Rad. Südlich der borealen Zone war der Hund das einzige Lasttier, Zugtiere gab es nicht, bevor das Pferd aus Europa eingeführt wurde.

Vollständig erklären ließe sich dies vermutlich über die Analyse soziotechnischer Systeme, also zusammen mit Mensch und Kultur. Es scheint, dass bestehende »Tragekulturen« keinen Raum boten für technische Innovationen.

Etymologie

Zweirädrige Karren und vierrädrige Wagen zählen zu den Fuhrwerken. Mit der Verbreitung des selbstangetriebenen Wagens im 20. Jahrhundert verdrängte der Begriff »Automobil« - oft verkürzt als »Auto« (gr. `selbst´) oder »Machina« - ältere Begriffe in vielen Sprachen.

`Wagen´ (veraltetes engl. wain) und `Vehikel´ (veraltendes frz. voiture) lassen sich zurückführen auf die indogermanische Wurzel u̯eĝh-, also `bewegen, ziehen, fahren ´.
`Karre´ dagegen führt wie car (engl.), char (frz.) über carrus (lat.) auf k̂ers-2, also `laufen´.
Darin spiegelt sich das schnellere Schieben des leichteren Karrens im Vergleich zum gezogenen Wagen.

Das türkische arabá bezeichnet alle Arten von Karren und Wagen; im arabischen heißt es gleichlautend عربة (يد) ʕaraba(t jad). Verbunden mit dem persischen el Areba, `Mühlrad´ 11) verweist dieser Begriff auf eine ursprüngliche Bedeutung als `Rad´. Als Wanderwort verbreitete sich araba im gesamten persisch-osmanisch-arabischen Raum, bis Rumänien und auf den Balkan. Derselbe Zusammenhang ergibt sich am Beispiel des Turms im Schachspiel (engl. rook). Dieser Turm war ursprünglich ein Streitwagen (indisch `ratha´> indogermanisch ret(h)-, daraus wurde persisches Rukh. Persisches Rukh ist synonym zu arabischem araba 12). —- ==== Literatur ==== === Reiseformen in der Frühzeit === H. Köpp
Reisen in Prädynastischer Zeit und Frühzeit
In: E.-M. Engel/V. Müller/U. Hartung
Zeichen aus dem Sand.
Streiflichter aus Ägyptens Geschichte zu Ehren von Günter Dreyer (Wiesbaden 2008) 401-412 H. Köpp
Weibliche Mobilität im Alten Ägypten. Frauen in Sänften und auf Streitwagen
In: Miscellanea in honorem Wolfhart Westendorf
Göttinger Miszellen Beiheft 3 (Göttingen 2008) 34-44 H. Köpp
Desert travel and transport in ancient Egypt
An overview based on epigraphic, pictorial and archaeological evidence
In: F. Förster/H. Riemer (eds.)
Desert Road Archaeology in Ancient Egypt and Beyond
Africa Praehistorica 27 (Köln 2013) 103-127 K. Kristiansen
Kontakte und Reisen im 2. Jahrtausend v. Chr.
In: M. Fansa/St. Burmeister (Hrsg.)
Rad und Wagen. Der Ursprung einer Innovation
Wagen im Vorderen Orient und Europa
Beiheft der Archäologischen Mitteilungen aus Nordwestdeutschland 40 (Mainz 2004) 443-454 === Wagenentwicklung === M. Mainberger
„Rätselhafte Holzobjekte“ des Pfahlbauneolithikums
Ein Transportgerätetyp vor der Erfindung von Rad und Wagen?
Archäologisches Korrespondenzblatt 27, 1997, 415-422
Betrifft die Stangenschleife (ca. 3.800 v. Chr.) als Dreieckswagen N. Johannsen/St. Laursen
Routes and Wheeled Transport in the Late 4th-Early 3rd
Millennium Funerary Customs of the Jutland Peninsula: Regional Evidence and European Context
Prähistorische Zeitschrift 85, 2010, 15-58 Robin Law
Wheeled transport in pre-colonial West Africa
Journal of the African Institute 50, 249-262, 1980 J. Maran
Kulturkontakte und Wege der Ausbreitung der Wagentechnologie im 4. Jahrtausend
In: M. Fansa/St. Burmeister (Hrsg.), Rad und Wagen. Der Ursprung einer Innovation. Wagen im Vorderen Orient und Europa. Beiheft der Archäologischen Mitteilungen aus Nordwestdeutschland 40 (Mainz 2004) 429-443. Wolfram Nagel, Christian Eder, Eva Strommenger
Archaische Wagen in Vorderasien und Indien
Bauweise und Nutzung
Reimer Verlag 2017, 352 Seiten V.A. Novozhenov
Communications and Earliest Wheeled Transport of Eurasia
Moscow 2012 Pierre Pétrequin, Rose-Marie Arbogast, Amandine Viellet, Anne-marie Pétrequin, Denis Maréchal
Eine neolithische Stangenschleife vom Ende des 31. Jhs. v. Chr. in Chalain (Fontenu, Jura, Frankreich).
In: Joachim Köninger (Hrsg.)
Schleife, Schlitten, Rad und Wagen: zur Frage früher Transportmittel nördlich der Alpen
Rundgespräch Hemmenhofen 10.10.2001. Janus-Verlag, Freiburg i. Br. 2002, S. 59 St. Piggot
The Earliest Wheeled Transport from the Atlantic Coast to the Caspian Sea
Ithaca, New York 1983 M.U. Vosteen
Urgeschichtliche Wagen in Mitteleuropa
Eine archäologische und religionswissenschaftliche Untersuchung neolithischer bis hallstattzeitlicher Befunde
Freiburger Archäologische Studien 3, Rahden 1999 === Güterbeförderung und Transportwesen === Anton Heimes
Vom Saumpferd zur Transportindustrie. Weg und Bedeutung des Straßengüterverkehrs in der Geschichte
Kirschbaum Verlag Boad Godesberg 1978, 320 S. Peter Goebel
Zucker für den Esel. Geschichte der Güterbeförderung vom Neandertal bis Hellas
Deutscher Verkehrs-Verlag Hamburg 1971 Tünde Horváth
Die Anfänge des kontinentalen Transportwesens und seine Auswirkungen auf die Bolerázer und Badener Kulturen.
Archaeopress Gordon House 276 Banbury Road Oxford OX2 7ED www.archaeopress.com, Archaeopress Open Access 2015, ISBN 978 1 78491 083 9 (e-Pdf) Laszlo Tarr
Karren, Kutsche, Karosse. Eine Geschichte des Wagens
BLV München 1970, 349 S. —- siehe auch:
Hauptbaugruppen
Karosserie
Fachliteratur
Straße Wagendorf <html><img src=„https://vg08.met.vgwort.de/na/1ebb7a19bd3c497c8d72e1f253e9a5f6“ width=„1“ height=„1“ alt=„“></html>

1)
Pétrequin Pierre
Habitats lacustres néolithiques et perception du temps
In: Bulletin de la Société préhistorique française, tome 102, n°4, 2005. pp. 789-802. DOI : https://doi.org/10.3406/bspf.2005.13182
2)
Florian Klimscha
Transforming Technical Know-how in Time and Space. Using the Digital Atlas of Innovations to Understand the Innovation Process of Animal Traction and the Wheel
in: eTopoi. Journal for Ancient Studies, Volume 6 (2017), 16–63
3)
`treiben', `schwingen', in Bewegung setzen, führen', engl. to lead > indogermanisch aĝ-
4)
indogermanisch kʷel-1, kʷelə-
5)
Corrie Bakels
The Western European Loess Belt: Agrarian History, 5300 BC - AD 1000
Springer ISBN 9781402098406
6)
Stefanie Leisentritt
Welche Bedeutung hat die Darstellung wagenfahrender Gottheiten auf den Denaren der Römischen Republik?
GRIN Verlag, 2009
7)
Im nördlichen Iran findet sich die wilde Bezoarziege im 9. Jahrtausend v. Chr. erstmals domestiziert
8)
E. Kröncke
Versuch einer Theorie des Fuhrwerks mit Anwendung auf den Straßenbau
Gießen 1802
9)
Edith Saurer
Straße, Schmuggel, Lottospiel …
Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1989
10)
Pitulko, Vladimir V.; Kasparov, Aleksey K.
Archaeological dogs from the Early Holocene Zhokhov site in the Eastern Siberian Arctic
Journal of Archaeological Science 2017, S.491-515
https://doi.org/10.1016/j.jasrep.2017.04.003
11)
Freiherr Hammer-Purgstall
Über drei orientalische Handschriften, in: Sitzungsberichte Akademie der Wissenschaften in Wien Philosophisch-Historische Klasse Bd. 15 Rohrer, Wien 1855, S. 18
12)
Remke Kruk
On Rukhs and Rooks, Camels and Castles
Oriens 2001, 36: 288-298
Murray, H. J. R.
A History of Chess
Oxford University Press London 1913
wiki/wagenbau.1597076020.txt.gz · Zuletzt geändert: 2020/08/10 16:13 von norbert

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