Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


wiki:kochen_und_essen

Unterschiede

Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen der Seite angezeigt.

Link zu der Vergleichsansicht

Beide Seiten, vorherige ÜberarbeitungVorherige Überarbeitung
Nächste Überarbeitung
Vorherige Überarbeitung
wiki:kochen_und_essen [2022/05/24 17:33] – [Die Krisen- & Kriegsküche] norbertwiki:kochen_und_essen [2023/12/01 10:41] (aktuell) norbert
Zeile 1: Zeile 1:
 ====== Kochen und Essen ====== ====== Kochen und Essen ======
 +
   »Oysters are alive. I don't eat live food.   »Oysters are alive. I don't eat live food.
   I want my food dead. Not sick, not wounded. Dead.«   I want my food dead. Not sick, not wounded. Dead.«
   Woody Allen: Don’t Drink the Water. 1969   Woody Allen: Don’t Drink the Water. 1969
-Nutzer eines touristischen Systems - also Clubreisende ebenso wie Backpacker in ihren Hostels - sind nach dem ersten Blick in die Speisekarte gut dran, aber die wenigsten entkommen [[wiki:Montezumas Rache|Montezumas Rache]]. Über die Ursachen kann man spekulieren, doch scheint Undefinierbares aus der Garküche am Straßenrand besser bekömmlich zu sein als vertraut Erscheinendes aus dem Warmwasserbad ([[https://www.andreas.com/weird-food.html +Nutzer eines touristischen Systems - also Clubreisende ebenso wie Backpacker in ihren Hostels - sind nach dem ersten Blick in die Speisekarte gut dran, aber die wenigsten entkommen [[wiki:Montezumas Rache|Montezumas Rache]]. Über die Ursachen kann man spekulieren, doch scheint Undefinierbares aus der Garküche am Straßenrand besser bekömmlich zu sein als vertraut Erscheinendes aus dem Warmwasserbad ([[https://www.andreas.com/weird-food.html|Weird Food & Strange Food from Around the World]])
-|Weird Food & Strange Food from Around the World]]).+  * ''Friedl, Ellen''\\ //Essen auf Reisen.//\\ In: Berwing, Margit und Konrad Köstlin (Hrsg.): Reise-Fieber. Begleitheft zur Ausstellung des Lehrstuhls für Volkskunde der Universität Regensburg. Regensburg 1984. S.172-178 
 +  * ''Simmel, Georg''\\ //Soziologie der Mahlzeit.//\\ S. 205–211 in: Ders.: Das Individuum und die Freiheit. Essais. Frankfurt/Main 1993 
 +  * ''Ranke, Karl Ernst''\\ //Über die Einwirkung des Tropenklimas auf die Ernährung des Menschen, auf Grund von Versuchen im tropischen und subtropischen Südamerika.//\\ II, 95, 1 S. Berlin 1900: A. Hirschwald.
  
 ===== Fremdessen ===== ===== Fremdessen =====
 Zum Problem wird das Ekelgefühl, das sich bei Unbekanntem häufig breitmacht, ausgelöst von Aussehen, Geruch und oft auch nur von der Phantasie. Nun hat man ja meist die Wahl, aber es ist das Schlechteste nicht, sich mit dem Ekelgefühl auseinanderzusetzen. Dazu lädt das [[https://disgustingfoodmuseum.berlin/|Disgusting Food Museum]] in Berlin ein und lockt mit »Ekel macht Spaß!«, überreicht als Eintrittskarte jedoch eine Kotztüte. Immerhin kann man lernen, mit diesem grenzverletzenden Gefühl umzugehen. Wie weit die Toleranz zur Nahrungsaufnahme sich dadurch erweitern lässt, steht auf einem anderen Blatt. Alle angebotenen Speisen und Getränke sind hier echt, genießbar und original zubereitet: die Mäuseessenz aus Südchina, der Schnaps aus eingelegtem Robben-, Hirsch- und Hundepenis, der Schlangenschnaps Habushu aus Japan, fast heimatlich der sardische Pecorino mit lebenden Maden, die ihren Käse verteidigen. Zum Problem wird das Ekelgefühl, das sich bei Unbekanntem häufig breitmacht, ausgelöst von Aussehen, Geruch und oft auch nur von der Phantasie. Nun hat man ja meist die Wahl, aber es ist das Schlechteste nicht, sich mit dem Ekelgefühl auseinanderzusetzen. Dazu lädt das [[https://disgustingfoodmuseum.berlin/|Disgusting Food Museum]] in Berlin ein und lockt mit »Ekel macht Spaß!«, überreicht als Eintrittskarte jedoch eine Kotztüte. Immerhin kann man lernen, mit diesem grenzverletzenden Gefühl umzugehen. Wie weit die Toleranz zur Nahrungsaufnahme sich dadurch erweitern lässt, steht auf einem anderen Blatt. Alle angebotenen Speisen und Getränke sind hier echt, genießbar und original zubereitet: die Mäuseessenz aus Südchina, der Schnaps aus eingelegtem Robben-, Hirsch- und Hundepenis, der Schlangenschnaps Habushu aus Japan, fast heimatlich der sardische Pecorino mit lebenden Maden, die ihren Käse verteidigen.
 +  * ''Köstlin, Konrad''\\ //Das fremde Essen – das Fremde essen.\\ Anmerkungen zur Rede von der Einverleibung des Fremden.//\\ In: Müller, Siegfried, Hans-Uwe Otto und Ulrich Otto (Hrsg.): Fremde und Andere in Deutschland. Nachdenken über das Einverleiben, Einebnen, Ausgrenzen. Opladen 1995. S.219-234
 +  * ''Menninghaus, Winfried''\\ //Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung//.\\ 591 S. Frankfurt/M. 1999: Suhrkamp 
  
 [[wiki:reisende|Reisende]], die unterwegs keine Probleme mit dem Essen haben, sind vermutlich [[wiki:reisende|Reisende]], die unterwegs keine Probleme mit dem Essen haben, sind vermutlich
   * //Genießer//, die ihre Reiseziele nach kulinarischen Aspekten ausssuchen.   * //Genießer//, die ihre Reiseziele nach kulinarischen Aspekten ausssuchen.
-  * //Genußwanderer//, die alle Zutaten für ein ausgiebiges [[wiki:picknick|Picknick]] mitführen.+  * //Genußwanderer//, die alle Zutaten für ein ausgiebiges [[wiki:picknick|Picknick]] mitführen.\\ → [[wiki:ausstellungsliste_wandern_flanieren#Spazieren, Flanieren,Picknick|Ausstellungsliste Picknick]]
   * //Allesverwerter//, weil es im Magen bekanntlich dunkel ist.   * //Allesverwerter//, weil es im Magen bekanntlich dunkel ist.
   * //Asketen// (»Hungerhaken«), bei denen auch Wasser ein Völlegefühl erzeugt.   * //Asketen// (»Hungerhaken«), bei denen auch Wasser ein Völlegefühl erzeugt.
Zeile 18: Zeile 23:
 Dass der Appetit beim Essen kommt, ist unterwegs nur eingeschränkt richtig. Da entscheiden zuerst die Augen, dann die Nase und schließlich die Einstellung. Eine »Wißbegierde der Zunge« empfahl der Autor seinen Volksgenossen für kulinarische Ausflüge in sozialistische Länder bis nach Vietnam und Kuba: Dass der Appetit beim Essen kommt, ist unterwegs nur eingeschränkt richtig. Da entscheiden zuerst die Augen, dann die Nase und schließlich die Einstellung. Eine »Wißbegierde der Zunge« empfahl der Autor seinen Volksgenossen für kulinarische Ausflüge in sozialistische Länder bis nach Vietnam und Kuba:
   * ''Hans Frosch''\\ //Zu Gast in anderen Ländern//\\ 160 S. Verlag für die Frau DDR Leipzig 1978   * ''Hans Frosch''\\ //Zu Gast in anderen Ländern//\\ 160 S. Verlag für die Frau DDR Leipzig 1978
-===== Selbstversorgung =====+  * ''Angela Huber ''\\ //Reisen über den Tellerrand.\\ Kulinarisch-gastronomische Überraschungen in Berichten Reisender aus der Sowjetunion.//\\ S. 57-74 in: Norbert Franz: Küche und Kultur in der Slavia : Eigenes und Fremdes im ausgehenden 20. Jahrhundert. Potsdam 2014: Univ.-Verl. [[https://publishup.uni-potsdam.de/frontdoor/index/index/docId/6956|Online]]  
 +===== Selber kochen =====
  
 ==== Küchentechnische Bedingungen ==== ==== Küchentechnische Bedingungen ====
Zeile 26: Zeile 32:
   * verfügbaren [[wiki:Kochutensilien|Kochutensilien]],   * verfügbaren [[wiki:Kochutensilien|Kochutensilien]],
   * verfügbaren [[wiki:kochstelle|Kochstellen]] und zusätzlicher [[wiki:ausruestung|Ausrüstung]],   * verfügbaren [[wiki:kochstelle|Kochstellen]] und zusätzlicher [[wiki:ausruestung|Ausrüstung]],
-  * und last, but not least //Know-How//, also Erfahrung und Rezepte für [[wiki:liste_der_mahlzeiten_im_freien|Mahlzeiten im Freien]].+  * und last, but not least //Know-How//, also Erfahrung und Rezepte für [[wiki:liste_mahlzeiten_im_freien|Mahlzeiten im Freien]].
  
 Mit dem ganz kleinen Besteck müssen nicht-motorisierte Reisende klarkommen: Mit dem ganz kleinen Besteck müssen nicht-motorisierte Reisende klarkommen:
Zeile 61: Zeile 67:
 ===== Selbstversorgungs-Konzepte ===== ===== Selbstversorgungs-Konzepte =====
 ==== Mahlzeiten aus der Tüte ==== ==== Mahlzeiten aus der Tüte ====
-Was lässt sich leicht tragen, einfach zubereiten und macht satt? Diese Überlegung teilen Langstreckenwanderer mit Alpinisten und Infanteristen und führte 1867 den Berliner Koch ''Johann Heinrich Grüneberg'' zur Entwicklung der **Erbswurst**, der man den Ursprung aus der Tüte nicht nachschmeckte, die billig war und der preußischen Armee nicht nur als »eiserne Ration« diente, jedoch seit 2018 nicht mehr hergestellt wird. Sie bestand ursprünglich aus Erbsenmehl, Gewürzen, Rinderfett, Salz, Speck, Zwiebeln und war auch ungekühlt nahezu unbegrenzt haltbar, wenn sie luftdicht verpackt war: in Wurstform, doch ohne Wurst.+Was lässt sich leicht tragen, einfach zubereiten und macht satt? Diese Überlegung teilen Langstreckenwanderer mit Alpinisten und Infanteristen und führten 1867 den Berliner Koch ''Johann Heinrich Grüneberg'' zur Entwicklung der **Erbswurst**, der man den Ursprung aus der Tüte nicht nachschmeckte, die billig war und der preußischen Armee nicht nur als »eiserne Ration« diente sondern 1956 bis 1990 auch als »NVA-Feldsuppe«, jedoch seit 2018 nicht mehr hergestellt wird. Sie bestand ursprünglich aus Erbsenmehl, Gewürzen, Rinderfett, Salz, Speck, Zwiebeln und war auch ungekühlt nahezu unbegrenzt haltbar, wenn sie luftdicht verpackt war: in Wurstform, doch ohne Wurst.
  
 Die **Einmannpackungen EPA der Bundeswehr** (engl. MRE `Meals, Ready to Eat´, combat ration) wiegen 1600 g und bieten einen Nährwert von 15,9 MJ (3800 kcal). Deren Zusammensetzung änderte sich wiederholt seit den 1960er Jahren, darunter 1-2 Hauptgerichte, die im Wasserbad erwärmt wurden sowie Kekse (Kräcker, Brot), Wurst, Weichkäse, Konfitüre, Saft-, Kaffee- & Teepulver, Margarine, Salz, Schokolade sowie weitere Utensilien, etwa Wasserentkeimungsmittel. Die alten EPA hielten sich zehn Jahre und länger, wobei allerdings Schokolade und die Getränkepulver zu keiner Zeit genießbar waren. Die **Einmannpackungen EPA der Bundeswehr** (engl. MRE `Meals, Ready to Eat´, combat ration) wiegen 1600 g und bieten einen Nährwert von 15,9 MJ (3800 kcal). Deren Zusammensetzung änderte sich wiederholt seit den 1960er Jahren, darunter 1-2 Hauptgerichte, die im Wasserbad erwärmt wurden sowie Kekse (Kräcker, Brot), Wurst, Weichkäse, Konfitüre, Saft-, Kaffee- & Teepulver, Margarine, Salz, Schokolade sowie weitere Utensilien, etwa Wasserentkeimungsmittel. Die alten EPA hielten sich zehn Jahre und länger, wobei allerdings Schokolade und die Getränkepulver zu keiner Zeit genießbar waren.
Zeile 73: Zeile 79:
 |Fisch | 45 | |Fisch | 45 |
 |Käse | 35 bis 40| |Käse | 35 bis 40|
-Kohlehydrate ||+Kohlenhydrate ||
 |Kartoffeln | 800 | |Kartoffeln | 800 |
 |Brot & Gebäck| 500 | |Brot & Gebäck| 500 |
Zeile 102: Zeile 108:
  
 ==== Die Küche der Siedler ==== ==== Die Küche der Siedler ====
 +
   * ''Peter & Helga Haller'' (Bearbeiter)\\ // Südwester Kochbuch//.\\ Eine Sammlung original südwestafrikanischer Kochrezepte.\\ Swakopmund 1985/1997/1999, ISBN 99916-741-3-6   * ''Peter & Helga Haller'' (Bearbeiter)\\ // Südwester Kochbuch//.\\ Eine Sammlung original südwestafrikanischer Kochrezepte.\\ Swakopmund 1985/1997/1999, ISBN 99916-741-3-6
 +Vor demselben Problem wie Reisende standen deutsche Siedler auch im südlichen Afrika und fragten sich: Wie kann ich mit dem, was hier wächst und fleucht etwas kochen, das an das erinnert, was meine deutsche Zunge gewohnt ist? Diese Rezeptsammlung basierte auf dem //[[http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/kolonialbibliothek/urn/urn:nbn:de:hebis:30:2-259276|Kolonial-Kochbuch]]// von ''Olga Rosenberg'', Berlin 1906: W. Süsserott ((Aus dem Vorwort: //»Die Engländer, Holländer und Spanier besitzen seit einer Reihe von Jahren Tropen-Kochbücher, deren eingehendes Studium mir die Zusammenstellung dieses Buches für unsere Kolonien ermöglichte.«//)), außerdem flossen die Rezepte von 18 Farmern und Familien ein, die im Vorwort namentlich genannt sind. Seite für Seite merkt man, dass Praktiker am Werk sind. Da wird Bananenbrot gebacken und erklärt, wie man Senf herstellt oder einen haltbaren Brotaufstrich aus Rindfleisch zubereitet. Neben dem Herstellen von Leberwurst wird beschrieben, wie eine Puffotter gehäutet wird, es gibt Ananasbier, Saft aus Kaktusfeigen und Pfannkuchen aus Süßkartoffeln. 
   * ''Feldkamp, Herbert'', ''Annegret Weilandt''\\ //Würste, Schinken, Sülzen & Pasteten.//\\ Die besten Rezepte für Wurstwaren aus Schlachtteilen oder aus eigener Schlachtung.\\ Verarbeitung, Techniken, Utensilien; mit Anleitung zum Selberschlachten. \\ Reihe: Leben mit der Natur. München 1998: Ludwig.   * ''Feldkamp, Herbert'', ''Annegret Weilandt''\\ //Würste, Schinken, Sülzen & Pasteten.//\\ Die besten Rezepte für Wurstwaren aus Schlachtteilen oder aus eigener Schlachtung.\\ Verarbeitung, Techniken, Utensilien; mit Anleitung zum Selberschlachten. \\ Reihe: Leben mit der Natur. München 1998: Ludwig.
-Vor demselben Problem wie Reisende standen deutsche Siedler auch im südlichen Afrika und fragten sich: Wie kann ich mit demwas hier wächst und fleucht etwas kochen, das an das erinnert, was meine deutsche Zunge gewohnt ist? Diese Rezeptsammlung basierte auf dem //[[http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/kolonialbibliothek/urn/urn:nbn:de:hebis:30:2-259276|Kolonial-Kochbuch]]// von ''Olga Rosenberg'', Berlin 1906WSüsserott ((Aus dem Vorwort: //»Die Engländer, Holländer und Spanier besitzen seit einer Reihe von Jahren Tropen-Kochbücher, deren eingehendes Studium mir die Zusammenstellung dieses Buches für unsere Kolonien ermöglichte.«//)), außerdem flossen die Rezepte von 18 Farmern und Familien ein, die im Vorwort namentlich genannt sind. Seite für Seite merkt man, dass Praktiker am Werk sind. Da wird Bananenbrot gebacken und erklärt, wie man sich selbst Senf herstellt oder einen haltbaren Brotaufstrich aus Rindfleisch zubereitet. Neben dem Herstellen von Leberwurst wird beschrieben, wie eine Puffotter gehäutet wird, es gibt Ananasbier, Saft aus Kaktusfeigen und Pfannkuchen aus Süßkartoffeln. + 
 +==== Die Expeditionsküche  ==== 
 + 
 +  * ''HofmannThomas''\\ //[[wiki:abenteuer|Abenteuer]] Wissenschaft//\\ Forschungsreisende zwischen [[wiki:alpenpaesse|Alpen]], Orient und Polarmeer.\\ 287 SeitenIllustrationen, Karten  KölnBöhlau 2020\\ Inhalt (gekürzt) 
 +    * [[wiki:kochen_und_essen|Essen]]: alles mitnehmen oder regionale Küche? 
 +    * "Das Eierholen war aber keineswegs eine bequeme Sache"Kulinarik zwischen Völlerei und Hungerleiden 
 +    * //Fram-Expedition// 1910-1912: "nie so gute Tage gehabt" 
 +    * Auf //Jan Mayen// 1932-1933: "geringes Quantum Fleisch" 
 +    * [[wiki:bushmeat|Afrikanischer Speiseplan]]
  
 ==== Die Bordküche ==== ==== Die Bordküche ====
 +
   * ''Wolfram zu Mondfeld''\\ //Das Piraten Kochbuch//\\ 106 S. Herford 1985: Koehlers   * ''Wolfram zu Mondfeld''\\ //Das Piraten Kochbuch//\\ 106 S. Herford 1985: Koehlers
-Auf See zeigen sich noch ganz andere Probleme: Was kann man mitnehmen und zubereiten, wenn es nichts Frisches zu kaufen gibt, wenn das Schiff im Wellengang schaukelt und nur Salzwasser im Überfluss zuhanden ist? Unter einem irreführenden Titel (Das ist ist kein Kinderbuch) sind Bordgerichte versammelt: gut recherchiert, mit Rezepten aus den Bordküchen seit Homer und historisch belegt.  +Auf See zeigen sich noch ganz andere Probleme: Was kann man mitnehmen und zubereiten, wenn es nichts Frisches zu kaufen gibt, wenn das Schiff im Wellengang schaukelt und nur Salzwasser im Überfluss zuhanden ist? Unter einem irreführenden Titel (Das ist ist kein Kinderbuch) sind Bordgerichte versammelt: gut recherchiert, mit Rezepten aus den Bordküchen seit Homer und historisch belegt. 
 + 
 +  * ''Melina Teubner''\\ //Die "zweite Sklaverei" ernähren : Sklavenschiffsköche und Straßenverkäuferinnen [Quitandeiras] im Südatlantik (1800-1870)//\\ 301 S. (=Globalgeschichte, 35) Frankfurt; New York 2021: Campus. [[https://d-nb.info/1221077120/04|Inhalt]] 
 ==== Die Notfallküche ==== ==== Die Notfallküche ====
 +
   * ''Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe'' (Hg.)\\  //Kochen ohne Strom - Das Notfallkochbuch: die 50 besten Rezepte für Alltag, Camping und Notfall.//\\ 151 S. München Bassermann 2021\\ Mit den besten 50 Rezepten aus einem Wettbewerb.   * ''Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe'' (Hg.)\\  //Kochen ohne Strom - Das Notfallkochbuch: die 50 besten Rezepte für Alltag, Camping und Notfall.//\\ 151 S. München Bassermann 2021\\ Mit den besten 50 Rezepten aus einem Wettbewerb.
 Eine spezielle Küchenorganisation kann durch eine plötzliche [[wiki:notlage|Notlage]] erforderlich sein, weil eine mehrtägige Robinson-Situation entsteht, bei der durch verschiedene Ursachen (Lawinen, Starkregen, Flut, Tornado, Erdbeben u.a.) regionale Strukturen wie etwa Strom- und Wasserversorgung unterbrochen werden oder eine Region von der Umwelt abgeschnitten wird. Das setzt eine ständige Vorratshaltung voraus, damit einige Tage überbrückt werden können. Dabei kann massenhaft hysterisches Verhalten den Mangel durch Horten erst recht herbeiführen, wie die Corona-Pandemie zeigte, als WC-Papier, Nudeln und Tomatenkonserven ausverkauft waren. Einmal gestörte Lieferketten brauchen jedoch lange, bis sie wieder funktionieren, da die Abstimmung zwischen Erzeuger, Spediteuren und Lageristen aus den Fugen gerät. Eine spezielle Küchenorganisation kann durch eine plötzliche [[wiki:notlage|Notlage]] erforderlich sein, weil eine mehrtägige Robinson-Situation entsteht, bei der durch verschiedene Ursachen (Lawinen, Starkregen, Flut, Tornado, Erdbeben u.a.) regionale Strukturen wie etwa Strom- und Wasserversorgung unterbrochen werden oder eine Region von der Umwelt abgeschnitten wird. Das setzt eine ständige Vorratshaltung voraus, damit einige Tage überbrückt werden können. Dabei kann massenhaft hysterisches Verhalten den Mangel durch Horten erst recht herbeiführen, wie die Corona-Pandemie zeigte, als WC-Papier, Nudeln und Tomatenkonserven ausverkauft waren. Einmal gestörte Lieferketten brauchen jedoch lange, bis sie wieder funktionieren, da die Abstimmung zwischen Erzeuger, Spediteuren und Lageristen aus den Fugen gerät.
Zeile 122: Zeile 143:
  
 ==== Die Krisen- & Kriegsküche ==== ==== Die Krisen- & Kriegsküche ====
 +
   * ''Josephine Nagel''\\ //Die Kriegsküche im  Sommer 1916.//\\ Kochanweisungen für fleisch- und fettsparende Tage.\\ Mit einer Einleitung von Professor Dr. Carl Oppenheimer.\\ 13. Hunderttausend. Verlag der Zentral-Einkaufsgesellschaft mbH Berlin.\\ Durchaus ansprechende Rezepte mit einem hohen Grad an Einfachheit. Ganz alltagsnah heißt es: »Nach dem 1. August gelegte Eier halten sich länger als früher gelegte.« Will man sie monatelang haltbar machen, so  werden frische Eier 1,25 Stunden in Wasser mit etwas gelöstem Kaliumpermangant eingelegt und anschließend trocken abgetupft.   * ''Josephine Nagel''\\ //Die Kriegsküche im  Sommer 1916.//\\ Kochanweisungen für fleisch- und fettsparende Tage.\\ Mit einer Einleitung von Professor Dr. Carl Oppenheimer.\\ 13. Hunderttausend. Verlag der Zentral-Einkaufsgesellschaft mbH Berlin.\\ Durchaus ansprechende Rezepte mit einem hohen Grad an Einfachheit. Ganz alltagsnah heißt es: »Nach dem 1. August gelegte Eier halten sich länger als früher gelegte.« Will man sie monatelang haltbar machen, so  werden frische Eier 1,25 Stunden in Wasser mit etwas gelöstem Kaliumpermangant eingelegt und anschließend trocken abgetupft.
   * ''Hans Jürgen Holtmeier''\\ //Survival-Menüs für den Alltag. Überlebensernährung.//\\ 480 S. Frankfurt/Berlin 1985/1993: Ullstein   * ''Hans Jürgen Holtmeier''\\ //Survival-Menüs für den Alltag. Überlebensernährung.//\\ 480 S. Frankfurt/Berlin 1985/1993: Ullstein
Zeile 137: Zeile 159:
   * Selbstversorgung erfordert neben Know-How und Böden auch Düngung; Dünger herzustellen ist energieaufwendig und wird dann ebenfalls knapp.   * Selbstversorgung erfordert neben Know-How und Böden auch Düngung; Dünger herzustellen ist energieaufwendig und wird dann ebenfalls knapp.
   * Eine 28-tägige Verpflegung ohne Fleisch gelingt sowohl mit einer vegetarischen als auch mit einer lacto-vegetabilen Kost (ersatzweise Magermilchpulver und Eipulver), die sämtliche Mineralien und Aminosäuren ausgewogen beinhaltet. Dafür liefert der Autor sowohl Rezepte als auch die Mengen lagerbarer Nahrungsmittel für 28 Tage mit allen Mahlzeiten.   * Eine 28-tägige Verpflegung ohne Fleisch gelingt sowohl mit einer vegetarischen als auch mit einer lacto-vegetabilen Kost (ersatzweise Magermilchpulver und Eipulver), die sämtliche Mineralien und Aminosäuren ausgewogen beinhaltet. Dafür liefert der Autor sowohl Rezepte als auch die Mengen lagerbarer Nahrungsmittel für 28 Tage mit allen Mahlzeiten.
 +
 +==== Die Reise-Küche der Assyrer ====
 + 
 +  * ''Fales, F.M.''\\ //Food Practices in the Assyrian Military Camps.//\\ In: L. Milano (ed.), Paleonutrition and Food Practices in the Ancient Near East. Towards a Multidisciplinary Approach. Padova (2014) 413–437
 +  * ''Milano, L.''\\ //Eating on the Road: Travel Provisions in the Ebla Archives.//\\ S. 281–296 in: L. Milano (Hg.), Paleonutrition and Food Practices in the Ancient Near East. Towards a Multidisciplinary Approach. Padova 2014.
  
 ==== Steinzeit-Küche (Paläo-Diät) ==== ==== Steinzeit-Küche (Paläo-Diät) ====
 +
 In der Altsteinzeit - also mehr als eine Million Jahre lang - umfasste das Nahrungsmittelangebot der Jäger und Sammler: In der Altsteinzeit - also mehr als eine Million Jahre lang - umfasste das Nahrungsmittelangebot der Jäger und Sammler:
   * Beeren & Obst   * Beeren & Obst
   * Nüsse & Samen: Esskastanien, Wildgräser, Bucheckern, Eicheln   * Nüsse & Samen: Esskastanien, Wildgräser, Bucheckern, Eicheln
 +  * Blätter von **W**eide, **A**horn, **B**irke, **B**uche, **E**iche, **L**inde sind roh als Salat oder gedünstet als Gemüse essbar - wenn sie noch jung und zart sind.
   * Blüten, Kräuter, Wurzeln   * Blüten, Kräuter, Wurzeln
   * Honig   * Honig
Zeile 156: Zeile 185:
   * Fermentieren durch Eingraben (=Luftentzug) wie etwa Hákarl (»Gammelhai«) und Einsalzen (=Wasserentzug), etwa Gravlax (engl. graved salmon)   * Fermentieren durch Eingraben (=Luftentzug) wie etwa Hákarl (»Gammelhai«) und Einsalzen (=Wasserentzug), etwa Gravlax (engl. graved salmon)
     * ''Li Liu'', ''Jiajing Wang'', ''Danny Rosenberg'' etal.\\ //Fermented beverage and food storage in 13,000 years-old stone mortars at Raqefet Cave, Israel: Investigating Natufian ritual feasting.//\\ Journal of Archaeological Science: Reports, 21 (2018) 783-793 [[https://doi.org/10.1016/j.jasrep.2018.08.008.|DOI]]     * ''Li Liu'', ''Jiajing Wang'', ''Danny Rosenberg'' etal.\\ //Fermented beverage and food storage in 13,000 years-old stone mortars at Raqefet Cave, Israel: Investigating Natufian ritual feasting.//\\ Journal of Archaeological Science: Reports, 21 (2018) 783-793 [[https://doi.org/10.1016/j.jasrep.2018.08.008.|DOI]]
 +    * ''Speth, John D.''\\ //Putrid Meat and Fish in the Eurasian Middle and Upper Paleolithic:
 +Are We Missing a Key Part of Neanderthal and Modern Human Diet?//\\ Department of Anthropology, University of Michigan. PaleoAnthropology (2017): 44−72 [[https://doi.org/10.4207/PA.2017.ART105|DOI]]
  
-Zuckerhaltige Beeren & Obst vergären zu Wein, Honig zu Met, kohlehydratreichen Samen zu Bier. Dass Primaten wild vergorene Früchte kennen und zu schätzen wissen, ist bekannt. Damit Alkohol im Körper verarbeitet (metabolisiert) werden kann, bedarf es allerdings eines bestimmten Enzyms, der Alkoholdehydrogenase IV (ADH4), die bei Primaten und Menschen auftritt. Damit verbunden sind +Zuckerhaltige Beeren & Obst vergären zu Wein, Honig zu Met, kohlehydratreichen Samen zu Bier. Dass Primaten wild vergorene Früchte kennen und zu schätzen wissen, ist bekannt. Damit Alkohol im Körper verarbeitet (metabolisiert) werden kann, bedarf es allerdings eines bestimmten Enzyms, der Alkoholdehydrogenase IV (ADH4), die bei Primaten und Menschen auftritt, jedoch kaum bei anderen Säugetieren. Damit verbunden sind 
   * eine erhöhte physiologische Energieaufnahme (7.1 kcal/g aus Ethanol, nur 4.1 kcal/g aus Kohlenhydraten),    * eine erhöhte physiologische Energieaufnahme (7.1 kcal/g aus Ethanol, nur 4.1 kcal/g aus Kohlenhydraten), 
   * eine Geschmacksverstärkung (umami) durch die Bildung von Glutamat,   * eine Geschmacksverstärkung (umami) durch die Bildung von Glutamat,
Zeile 164: Zeile 195:
     * ''Carrigan M.A.,'' et al.\\ //Hominids adapted to metabolize ethanol long before human-directed fermentation.// \\ Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. 112.2 (2015) 458-463. [[https://www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.1404167111|Online]]     * ''Carrigan M.A.,'' et al.\\ //Hominids adapted to metabolize ethanol long before human-directed fermentation.// \\ Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. 112.2 (2015) 458-463. [[https://www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.1404167111|Online]]
  
-Das Rösten stärkehaltiger Nahrungsmitteln wandelt Stärke in Zucker um, erzeugt ab 130 °C Röstaromen (Maillard-Reaktion) und karamelisiert oberhalb 180 °C den Zucker. Trocken geröstet ist das Pulver lange haltbar. Durch Zusatz von Fett, Beeren, [[wiki:trockenfleisch|Trockenfleisch]] werden daraus kalt oder warm angerührte Mahlzeiten in Form von Brei (engl. stew, porridge, frz. roux), die [[wiki:unterwegs-sein|unterwegs]] schnell zuzubereiten sind wie beispielsweise [[wiki:pemmikan|Pemmikan und Rubabou]] bei den Ureinwohnern und [[wiki:waldlaeufer|Waldläufern]] im nördlichen Amerika. Dieses Verfahren findet sich etwa bei +Das **Rösten** stärkehaltiger Nahrungsmittel wandelt Stärke in Zucker um, erzeugt ab 130 °C Röstaromen (Maillard-Reaktion) und karamelisiert oberhalb 180 °C den Zucker. Trocken geröstet ist das Pulver lange haltbar. Durch Zusatz von Fett, Beeren, [[wiki:trockenfleisch|Trockenfleisch]] werden daraus kalt oder warm angerührte Mahlzeiten in Form von Brei (engl. stew, porridge, frz. roux), die [[wiki:unterwegs-sein|unterwegs]] schnell zuzubereiten sind wie beispielsweise [[wiki:pemmikan|Pemmikan und Rubabou]] bei den Ureinwohnern und [[wiki:waldlaeufer|Waldläufern]] im nördlichen Amerika. Dieses Verfahren findet sich etwa bei 
   * Einbrenne aus Weizen,   * Einbrenne aus Weizen,
   * Farina Boná (Schweiz) aus Roggen,   * Farina Boná (Schweiz) aus Roggen,
Zeile 172: Zeile 203:
   * Talkkuna (Finnland) aus Getreidemischungen,   * Talkkuna (Finnland) aus Getreidemischungen,
   * Tolokno (Russland, толокно) aus Getreidemischungen,   * Tolokno (Russland, толокно) aus Getreidemischungen,
-  * Tsampa (Tibet) aus Gerste,+  * Tsampa (Tibet) aus Gerste dazu Buttertee (bö-cha) aus TeeSalz, Butter, Milch.
   * Kinako (黄粉 or きなこ) aus Sojabohnen,   * Kinako (黄粉 or きなこ) aus Sojabohnen,
   * Máchica (Bolivien, Peru, Ecuador) aus Gerste,   * Máchica (Bolivien, Peru, Ecuador) aus Gerste,
   * Pinole (Mexiko: Tarahumara) aus Mais.    * Pinole (Mexiko: Tarahumara) aus Mais. 
-Zwar sind //Brot, Bier, Brei// für die Altsteinzeit nicht nachgewiesen, jedoch auch ohne Landwirtschaft mit Wildgräsersamen als Vorformen der heutigen Getreide herstellbar, wobei die Verarbeitung bei geröstetem Getreide einsetzt und fortschreitet über eingeweichtes, gequetschtes Getreide in Form von Brei, erhitztem Brei und gemahlenen Körnern (Weizenmehl) zu Fladenbrot in der Asche und schließlich über Hefen und Milchsäurebakterien zu Sauerteigbrot aus Roggenmehl im Ofen. Die ältesten archäologischen Hinweise verweisen auf Brot um 12.400 BC, auf Käse um 5.500 BC und auf Olivenöl im 5./6. Jahrtausend BC. +Zwar sind //Brot, Bier, Brei// für die Altsteinzeit nicht nachgewiesen, jedoch auch ohne Landwirtschaft mit Wildgräsersamen als Vorformen der heutigen Getreide herstellbar, wobei die Verarbeitung bei geröstetem Getreide einsetzt und fortschreitet über eingeweichtes, gequetschtes Getreide in Form von Brei, erhitztem Brei und gemahlenen Körnern (Weizenmehl) zu Fladenbrot in der Asche (im arabischen Raum gurs, qors, gars, 'urs ((''Behnstedt Peter'', ''Manfred Woidich''\\ //Wortatlas der arabischen Dialekte.\\ Band II.// Leiden 2014: Brill S. 238)), deckungsgleich mit dem Verbreitungsgebiet der [[wiki:beduinen|Beduinen]] ) und schließlich über Hefen und Milchsäurebakterien zu Sauerteigbrot aus Roggenmehl im Ofen. Die ältesten archäologischen Hinweise verweisen auf Brot um 12.400 BC, auf Käse um 5.500 BC und auf Olivenöl im 5./6. Jahrtausend BC. 
-  * ''Arranz-Otaegui, Amaia'' etal.\\ //Archaeobotanical evidence reveals the origins of bread 14,400 years ago in northeastern Jordan.// Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. 115 (31) 2018: 7925-7930.+  * ''Arranz-Otaegui, Amaia'' etal.\\ //Archaeobotanical evidence reveals the origins of bread 14,400 years ago in northeastern Jordan.//\\ Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. 115 (31) 2018: 7925-7930.
   * ''Subbaraman, Nidhi''\\ //Art of cheese-making is 7,500 years old.//\\ Nature (Dezember 2012) [[https://doi.org/10.1038/nature.2012.12020|DOI]]   * ''Subbaraman, Nidhi''\\ //Art of cheese-making is 7,500 years old.//\\ Nature (Dezember 2012) [[https://doi.org/10.1038/nature.2012.12020|DOI]]
   *  ''Dvory Namdar'', ''Alon Amrani'', ''Nimrod Getzov'', ''Ianir Milevski''\\ //Olive oil storage during the fifth and sixth millennia BC at Ein Zippori, Northern Israel.//\\ In: Israel Journal of Plant Sciences. 62,1-2, (2015) 65–74, doi:10.1080/07929978.2014.960733.    *  ''Dvory Namdar'', ''Alon Amrani'', ''Nimrod Getzov'', ''Ianir Milevski''\\ //Olive oil storage during the fifth and sixth millennia BC at Ein Zippori, Northern Israel.//\\ In: Israel Journal of Plant Sciences. 62,1-2, (2015) 65–74, doi:10.1080/07929978.2014.960733. 
Zeile 211: Zeile 242:
 Die Rezepte sind sorgfältig beschrieben, ohne Mengen und Garzeiten allzu genau zu präzisieren. Wer häufig und gerne kocht, benötigt solche Angaben auch nicht. Ein Register enthält die Rezepte unter ihren Grundzutaten, man findet also //Falafel// unter dem Stichwort Bohne, //Tabbuleh// unter Karotte. Das setzt bereits einiges [[wiki:wissen|Wissen]] voraus.  (Norbert Lüdtke) Die Rezepte sind sorgfältig beschrieben, ohne Mengen und Garzeiten allzu genau zu präzisieren. Wer häufig und gerne kocht, benötigt solche Angaben auch nicht. Ein Register enthält die Rezepte unter ihren Grundzutaten, man findet also //Falafel// unter dem Stichwort Bohne, //Tabbuleh// unter Karotte. Das setzt bereits einiges [[wiki:wissen|Wissen]] voraus.  (Norbert Lüdtke)
  
-==== Afrika ==== +==== Taiwan, China & Japan ==== 
 +Q-Textur (Hokkien khiū, Chinesisch 𩚨) ist ein kulinarischer Begriff vergleichbar dem italienischen Al Dente, der im Englischen auch mit chewy, springy, bouncy übersetzt wird, also den Widerstand der Speisen gegen den Biss beschreibend. Weniger kulinarisch ausgedrückt liegt die Konsistenz also zwischen zäh und elastisch und ermöglicht eine Bandbreite zwischen Q und QQ. Bei Nudeln (jian mian 碱面) erreicht man das durch Zugabe einer Lauge, bei Fisch- und Fleichbällchen mit Stärke oder durch Tapioka für Boba-Balls. 
 +  * ''Russell, Laura''\\ //The Curious Case of Q.//\\ Roads & Kingdoms. 01.05.2017 [[https://roadsandkingdoms.com/2017/the-curious-case-of-q/|Online]] 
 +  * ''Lim, Stephanie''\\ //Kitchen Language: What Does QQ Mean?//\\ Michelin Guide 13.05.2016 [[https://guide.michelin.com/sg/en/article/dining-out/what-is-qq-sg|Online]] 
 +  * ''Clarissa Wei''\\ //Made in Taiwan. Recipes and Stories from the Island Nation.//\\ 384 S. New York 2023:  S&S/Simon Element 
 + 
 +==== Amerika ====  
 +  Sean Sherman, Beth Dooley 
 +  Der Sioux-Chef 
 +  Indigen kochen. 
 +  Aus dem Amerikanischen von Sabine Franke. 
 +  232 S., Kanon-Verlag 2023 
 +Der indianische Spitzenkoch vom Volk der Ogalala-Sioux suchte nach den traditionellen Nahrungsmitteln und Zubereitungen seiner Vorfahren. Diese hat er zeitgemäß aufbereitet und in neue Rezepte integriert - ohne Gluten, ohne Milch, ohne Raffinadezucker. Das liest sich lecker, ohne sich ideologisch gesund zu präsentieren. Vorbilder für dieses Buch gibt es kaum, so dass vieles an indianischen Kochstellen recherchiert wurde: 
 +  * Vieles klingt für uns erstaunlich normal, weil zahlreiche Lebensmittel im 16. Jahrhundert und später nach Europa kamen und hier zuvor unbekannt waren, etwa Kartoffeln, Mais, manche Kürbissorten, Paprika, Tomaten ...  
 +  * Anderes wurde bereits in modischen Küchenszenarien als Superfood beworben wie Quinoa und Amaranth. 
 +  * Und aus Not- und Katastrophenküchenzeiten kennt man junge Triebe und Sprossen von Nadelbäumen, Eicheln, Wurzeln. Diese sowie Kürbis, Mais und andere Nahrungsmittel galten in der deutschen Nachkriegszeit als Armenspeisung und wurden spätestens durch die Fresswelle der 1960er aus der Küche verbannt.  
 +  * Hinzu kommen Wildreis, Ahornsirup und Sonnenblumenbutter, Bohnen, Pilze, Nüsse, Samen, Beeren, Rüben, Kräutern, Fisch und Wild. 
 +  * Zum Würzen dienen wenig überraschend Bergamotte, Minze, , Salbeiblätter, Sumach, Wacholderbeeren, wilde Zwiebeln und Beeren (Cranberries), Zedernadeln. 
 +  * Andere hier angewandte Verfahren wie Trocknen und Dörren sind auf dieser Seite an anderer Stelle bereits erörtert.  
 + 
 +Manches gilt es neu zu entdecken und einzuordnen. Geschmorte Sonnenblumenköpfe (oder Topinambur) schmecken wie Artischocken. Und aus Mais lässt sich mehr machen als Maisbrei. Das indianische Verfahren, Maiskörner mit Holzasche  und Wasser einzuweichen, macht die Maisstärke nicht nur besser bekömmlich, sondern schließt Vitamine (Niacin, Vitamin B3) und Kleber auf (Nixtamalisation).  
 +  * ''Waheenee'', ''Gilbert Livingstone Wilson''\\ //Buffalo Bird Woman's Garden. agriculture of the Hidatsa Indians.//\\ XXIII, 129 S., 10 Tafeln. Minneapolis 1917 (= Reprint Minnesota Historical Society Press, St. Paul, 1987) 
 + 
 +==== Afrika ==== 
   Youssou N’Dour   Youssou N’Dour
   Senegal. Die Küche meiner Mutter   Senegal. Die Küche meiner Mutter
Zeile 237: Zeile 292:
   192 S. Stuttgart Verl. Freies Geistesleben 2011   192 S. Stuttgart Verl. Freies Geistesleben 2011
 Das ist ein hervorragendes Buch, mit dem man sich zuhause an fremde Gerichte in originaler Form herantasten kann, dabei andere Gewürze und Zubereitungsarten kennenlernt wie //Nepalesische Frühstückskartoffeln, Tom Kha Gai, Rotkohl mit Harissa und Koriander, Kartoffeln auf Andenart// (mit Oliven). Fürs Wohnmobil sind die Zubereitungen jedoch meist zu aufwändig. Das ist ein hervorragendes Buch, mit dem man sich zuhause an fremde Gerichte in originaler Form herantasten kann, dabei andere Gewürze und Zubereitungsarten kennenlernt wie //Nepalesische Frühstückskartoffeln, Tom Kha Gai, Rotkohl mit Harissa und Koriander, Kartoffeln auf Andenart// (mit Oliven). Fürs Wohnmobil sind die Zubereitungen jedoch meist zu aufwändig.
 +
 +==== Die Küche der Armen ====
 +
 +  Huguette Couffignal
 +  Die Küche der Armen mit über 300 Rezepten 
 +  384 S. Berlin 2023: März
 +  Frankfurt am Main 1978, Übersetzung von La Cuisine des Pauvres Paris 1970
 +  oft übersetzt, z.B.: De keuken der armen, La cucina povera, La Cocina Heredada 
 +
 +Die Autorin hat vor mehr als 50 Jahren erkundet, wie die Armen und Hungrigen der Welt (Dritte Welt, Globaler Süden) es schaffen zu überleben und [[wiki:lebensmittel|Lebensmittel]] zu konservieren (z.B. Trockenfleisch, [[wiki:pemmikan|Pemmikan]]). »Was sich bewegt, ist essbar«: Schmetterlinge, Bienen, Eidechsen, Termiten, Grillen, Regenwürmer wecken zwar unsere Aufmerksamkeit besonders, sind praktisch aber nur Beilagen zu allem, was sättigt: Hirse, Sorghum, Mais, Linsen, Soja und Kichererbsen, zubereitet als Brei (z.B. Polenta) oder oder Eintopf (z.B. [[wiki:gumbo|Gumbo]]).
 +
 +Das sind aber keine reißerischen Rezepte, die auf Ekel zielen, sondern Anleitungen für den Alltag in einer uns fremden Umgebung, in der Tofu oder Algen billig zu haben sind und wie sie bereits bei ''Moses'' aufgezählt wurden ([[https://www.bibelwissenschaft.de/bibel/LU17/LEV.11|Leviticus 1,22]]). Ein fünfzigseitiger Essay beschreibt, wie die Rezepte durch Kultur und Ressourcen geprägt sind, also durch Gewohnheiten und Notwendigkeit, wie etwa die Kombination von Buttertee mit Tsampa (geröstetes Gerstenmehl) und Aprikosen im Himalaja. 
 +
 +Die Analysen der Autorin führen zu auch heute aktuellen Ergebnissen: weniger Fleischkonsum, Rücksicht auf Ressourcen, Verwertung »from nose to tail«. So gesehen sind die Gerichte der Armenküche, die es in die heutige Bohême geschafft haben, auch eine kulturelle Aneignung, deren Verzehr jedoch hier nicht auf Notwendigkeit und Mangel zurückzuführen ist, etwa: Tacos und Tofu, Sushi und Shakshuka, sondern stattdessen einen erhöhten Aufwand auslöst.
  
 ==== Nicht so praxisnah ==== ==== Nicht so praxisnah ====
Zeile 294: Zeile 363:
   * ''Butkus, Günther''\\ //Das Schrumpfkopf-Mobile.\\ Geschichten und Gedichte vom Fressen und Gefressenwerden.// \\ 112 S. Bielefeld 1998: Pendragon.\\ Eine Sammlung kannibalistischer Texte aus literarischen Quellen: wohl bekomm's!    * ''Butkus, Günther''\\ //Das Schrumpfkopf-Mobile.\\ Geschichten und Gedichte vom Fressen und Gefressenwerden.// \\ 112 S. Bielefeld 1998: Pendragon.\\ Eine Sammlung kannibalistischer Texte aus literarischen Quellen: wohl bekomm's! 
   * ''Heidi Peter-Röcher''\\ //Mythos Menschenfresser//.\\ Ein Blick in die Kochtöpfe der Kannibalen.\\ 169 S., Beck'sche Reihe 1262, C. H. Beck 1998   * ''Heidi Peter-Röcher''\\ //Mythos Menschenfresser//.\\ Ein Blick in die Kochtöpfe der Kannibalen.\\ 169 S., Beck'sche Reihe 1262, C. H. Beck 1998
-  * ''Lebek, Wolfgang D.''\\ //Kannibalen und Kariben auf der Ersten Reise des Columbus//.\\ Das andere Essen: Kannibalismus als Motiv und Metapher in der Literatur.\\ Hrsg. von Daniel Fulda und Walter Pape. Freiburg i.Br.: Rombach, 200153-112+  * ''Lebek, Wolfgang D.''\\ //Kannibalen und Kariben auf der Ersten Reise des Columbus//.\\ S. 53-112 in: Daniel Fulda, Walter Pape (Hg.): Das andere Essen: Kannibalismus als Motiv und [[wiki:reisebilder|Metapher]] in der Literatur.\\ Freiburg/Breisgau 2001: Rombach.
  
wiki/kochen_und_essen.1653413632.txt.gz · Zuletzt geändert: 2022/05/24 17:33 von norbert

Donate Powered by PHP Valid HTML5 Valid CSS Driven by DokuWiki