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Kartographie
Reisende fragen sich jeden Tag: Wohin? Solange das Ziel nicht in Sicht ist, benötigt man Informationen zur räumlichen Orientierung. Der Weg, dem man folgen kann, setzt bestehenden Verkehr voraus, also andere Menschen mit ähnlichen Zielen. Sich für den richtigen Weg zu entscheiden, ist auch ein sozialer Akt. Irrwische und Irrlichte wollen dies verhindern.
Martin Scharfe Wegzeiger Zur Kulturgeschichte des Verirrens und Wegfindens Jonas Marburg 1998 65 Abb., 112 S., Anmerkungen
Reisetypisch ist es, raumbezogene Informationen linear zu sammeln, als Tagesetappen, Logbuch, * Roadbook. Diese können zeichnerisch verdichtet werden, in der einfachsten Form als lineare Wegekarte oder Itinerar. Die vier Voraussetzungen dafür sind: eine scharfe Beobachtungsgabe, Orientierungsvermögen, Zeichentalent und Messverfahren 1). Seit vielen Jahrtausenden praktizieren Menschen dies als Felskunst, Sandbild, Steinsetzung, Wegzeichen, Stabkarten.
Wolfgang Dröber Kartographie bei den Naturvölkern Junge 1903((Phil. Diss. Erlangen, erschienen im Programm der Kgl. Realschule Erlangen für das Schuljahr 1902/1903. Nachgedruckt Amsterdam 1964 (Meridian) und Osnabrück 1985 (R. Kuballe) ))
Enthält eine Karte mehr als einen Weg, wird sie zur Orientierungskarte, weil sie mindestens Richtungen angeben muss, besser auch einen Massstab. Das älteste Koordinatensystem bezieht sich auf Sterne, Sonne, Mond und wurde erzählt, etwa als Gedicht:
A. Schott, R. Böker Aratos [ca 310 - 245 v. Chr.]. Sternbilder und Wetterzeichen Das Wort der Antike Band 6 M. Hueber München 1958
Orientierungskarten enthalten notwendigerweise leere Flächen zwischen den bekannten Wegen. Früher füllten Nashörner und Löwen die weißen Flecken, heute dienen dazu die modernen graphischen Methoden von Freehand:
Mark Monmonier Eins zu einer Million. Die Tricks und Lügen der Kartographen Birkhäuser, Basel 1996
Die ungeheuren Meeresflächen verführten dazu, Inseln zu erfinden. Wohin das – auch ohne betrügerische Absicht – führen kann, zeigt:
Donald S. Johnson Fata Morgana der Meere // [siehe *[[wiki:atlantik|Atlantik]]]. Charles H. Hapgood Die Weltkarten der alten Seefahrer Die Entdeckung der Antarktis vor 6000 Jahren und Amerikas vor Kolumbus Aus dem Amerikanischen von Ulrike Bischoff [Die OA erschien 1966 (!): Maps of the Ancient Sea Kings. Evidence of Advanced Civilization in the Ice Age] Frankfurt am Main: Zweitausendeins 2002 Pappband mit Fadenheftung und Umschlag 17 x 23,5 cm: 317 Seiten, 99 Textabb. Anhang mit 15 geographischen Tabellen; Literaturverzeichnis, Register
»Dieses Buch bietet eindrucksvolle Beweise dafür, daß unsere Geschichtsschreibung möglicherweise von falschen Voraussetzungen ausgeht.« (Klappentext) Möglicherweise geht auch der Leser von falschen Voraussetzungen aus, denn das Buch erschien 1966 in den USA, der Autor starb 1982, die deutsche Ausgabe ist der (so scheint es) unveränderte Nachdruck eines 36 Jahre alten Werkes. Bei einer Googlesuche im Internet nach „Piri Reis“ stößt man zu 98 Prozent auf esoterische Kreise, Dänikenanhänger und Paläoastronautik. Hier findet Hapgood seine Anhänger.
Doch der Reihe nach: Muhiddin Piri
ist eine historische Persönlichkeit und lebte von etwa 1470 bis 1554; der Zusatz „Reis“ ist ein Titel, der etwa Kapitän bedeutet. Er schrieb das »Seefahrerbuch«, Kitab Bahriye, und zeichnete zwei Seekarten. Einen Teil der zweiten Karte entdeckte man 1929 im Topkapi Palast in Istanbul. In den 60er Jahren entwickelt Hapgood seine These: Auf der Karte sei die Küstenlinie des antarktischen Kontinents exakt wiedergegeben. Bereits die Tatsache, daß er 250 Seiten für den „Beweis“ braucht, zeigt, daß das eben nicht so augenscheinlich ist. So geht Hapgood einen komplizierten Weg:
Erstens ist diese Festlandlinie gar nicht bekannt, denn sie liegt 50 bis 950 Meter unter dem Eis. Sie wurde lediglich seismisch und entsprechend ungenau vermessen – also ist Hapgoods Vergleichsmaßstab recht biegsam. Zweitens war nach allen bisherigen Untersuchungen die Antarktis seit 14 Millionen Jahren nicht eisfrei – wer also hätte die nicht sichtbare Küstenlinie befahren und vermessen sollen? Drittens „paßt“ die Küstenlinie aus der Piri Reis-Karte erst, nachdem Hapgood sie kräftig „bearbeitet“ hat und „Fehler“ tilgt.
Das alles weiß natürlich auch der Verlag. Also peilt er zwei Zielgruppen an: zum einen die Fans prähistorischer Verschwörungstheorien und zum anderen alle jene, die aus Unkenntnis die muffigen Ideen des alten Schinkens für frisch und neu halten. Leider läßt sich die weniger sensationelle Realität nicht so gut verkaufen, sonst hätte der Verlag eines der beiden folgenden Bücher übersetzt:
Soucek, Svat Piri Reis and Turkish Mapmaking After Columbus. Studies in the Khalili Collection, Volume II Oxford University Press, Cambridge 1996.
Gregory C. McIntosh The Piri Reis Map of 1513 Foreword by Norman J.W. Thrower University of Georgia Press Atlanta, Georgia 2000. Prof. Dr. A. Afetinan Life and Works of Piri Reis Ankara: Turkish Historical Society 1987, in Türkisch: 88 S., 59 maps
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