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 er se am nächsten Tag, dann kriegt se den Gnadenschuß. Also ein erbärmliches Leben in der Freiheit. Nur als Beispiel genommen. Im Gegensatz zum Hausschwein, das keine Freiheit hat, lebt doch wunderbar, Stroh wird gewechselt, wird gestreichelt, wenn’s Husten hat, kommt der Doktor mit der Pille und wenn es soweit ist, Gewicht ist da: Schlagbolzen!\\  er se am nächsten Tag, dann kriegt se den Gnadenschuß. Also ein erbärmliches Leben in der Freiheit. Nur als Beispiel genommen. Im Gegensatz zum Hausschwein, das keine Freiheit hat, lebt doch wunderbar, Stroh wird gewechselt, wird gestreichelt, wenn’s Husten hat, kommt der Doktor mit der Pille und wenn es soweit ist, Gewicht ist da: Schlagbolzen!\\ 
 Klick, schnell weg. … Wir leben ja in einer sogenannten Verhausschweinung des Menschen. Und man soll nur nich so liebäugeln mit der Freiheit, daß die so gülden ist, ist verdammt schön hart.«//\\  Klick, schnell weg. … Wir leben ja in einer sogenannten Verhausschweinung des Menschen. Und man soll nur nich so liebäugeln mit der Freiheit, daß die so gülden ist, ist verdammt schön hart.«//\\ 
-Aus einem Interview mit HEINZ ROX-SCHULZ, geführt 1996 von Norbert Lüdtke+Aus einem Interview mit [[wiki:heinz-rox_schulz|HEINZ ROX-SCHULZ]], geführt 1996 von Norbert Lüdtke
  
 Unter den [[wiki:globetrotter|Globetrottern]], die auf jeden einschränkenden Einfluß reagieren wie der Zeiger eines Seismometers, wird im allgemeinen gar nicht viel über Freiheit geredet. Vielleicht, weil jeder jeden mit seiner Freiheit machen läßt, was er will: aufzubrechen, sich anders zu entscheiden, Fehler zu machen, eben selbst zu bestimmen, welcher Weg einzuschlagen ist. Unter den [[wiki:globetrotter|Globetrottern]], die auf jeden einschränkenden Einfluß reagieren wie der Zeiger eines Seismometers, wird im allgemeinen gar nicht viel über Freiheit geredet. Vielleicht, weil jeder jeden mit seiner Freiheit machen läßt, was er will: aufzubrechen, sich anders zu entscheiden, Fehler zu machen, eben selbst zu bestimmen, welcher Weg einzuschlagen ist.
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 Ein Reiseverführer müßte Verfahren beschreiben, wie man auch an touristischen Orten völlig neue Erfahrungen machen kann. Herkömmliche [[wiki:reisefuehrer|Reiseführer]] dagegen beschränken die Freiheit des Reisens, weil sie führen; ein erfolgreicher Reiseführer führt viele auf denselben Pfaden zu denselben Zielen. Er trifft eine Vorauswahl, bewertet, bevorzugt bestimmte Sichtweisen, definiert die musts, folgt Meinungen, Trends, Moden. Ein Reiseverführer müßte Verfahren beschreiben, wie man auch an touristischen Orten völlig neue Erfahrungen machen kann. Herkömmliche [[wiki:reisefuehrer|Reiseführer]] dagegen beschränken die Freiheit des Reisens, weil sie führen; ein erfolgreicher Reiseführer führt viele auf denselben Pfaden zu denselben Zielen. Er trifft eine Vorauswahl, bewertet, bevorzugt bestimmte Sichtweisen, definiert die musts, folgt Meinungen, Trends, Moden.
-//»Im Unterschied zum [[wiki:erforscher|Entdecker]] ist der [[wiki:tourist|Tourist]] auf Wiedersehen aus. Er sammelt Sehenswürdigkeiten und ist empört, wenn die Wirklichkeit, zum Beispiel in Gestalt geparkter Autos, das Bild verstellt, das sein Reiseführer ihm vorgemacht hat. Das Reiseführerwissen gehört zu dem geschlossenen Regelkreis, den der amerikanische Romancier Thomas Pynchon als »Baedekerwelt« verspottet. Pynchons Tourist schlüpft in Safarikleidung und gibt Bakschisch an Händler und Touristguides, damit diese ihn davor bewahren, in die Welt hinter der Baedekerwelt zu geraten. Der Baedekermensch bewegt sich nicht in der Fremde, sondern in+//»Im Unterschied zum [[wiki:erforscher|Entdecker]] ist der [[wiki:tourist|Tourist]] auf Wiedersehen aus. Er sammelt Sehenswürdigkeiten und ist empört, wenn die Wirklichkeit, zum Beispiel in Gestalt geparkter Autos, das Bild verstellt, das sein Reiseführer ihm vorgemacht hat. Das Reiseführerwissen gehört zu dem geschlossenen Regelkreis, den der amerikanische Romancier Thomas Pynchon als »Baedekerwelt« verspottet. Pynchons Tourist schlüpft in [[wiki:reisekleidung|Safarikleidung]] und gibt Bakschisch an Händler und Touristguides, damit diese ihn davor bewahren, in die Welt hinter der Baedekerwelt zu geraten. Der Baedekermensch bewegt sich nicht in der Fremde, sondern in
 der klimatisierten Gondel seines Reiseführers.«// ((''Tobias Gohlis'': //Ortsbeschreibung mit allen Sinnen - von Chancen und Elend der Reiseliteratur//. Vortrag in der Ev. Akademie Loccum, Januar 1993))\\  der klimatisierten Gondel seines Reiseführers.«// ((''Tobias Gohlis'': //Ortsbeschreibung mit allen Sinnen - von Chancen und Elend der Reiseliteratur//. Vortrag in der Ev. Akademie Loccum, Januar 1993))\\ 
 Erziehung und Bildung gelten als Weg aus der Unfreiheit. Dem ist nicht zu widersprechen. Ihr Buchwissen und ihre Schulbildung erweitern Globetrotter jedoch um das Reisen als Quelle eigener Erfahrungen: //»Die Welt war meine Universität, die Völker waren meine Lehrer«// (ROX-SCHULZ). Solche Erfahrungen sind aus der Sicht des [[wiki:reisende|Reisenden]] immer authentisch, weil sie unmittelbar sind und ohne Medium auskommen. Die Tiefe und Vielfalt unmittelbarer Erfahrung wird eingeschränkt durch den übermäßigen Einsatz von Buch, Video, Internet Erziehung und Bildung gelten als Weg aus der Unfreiheit. Dem ist nicht zu widersprechen. Ihr Buchwissen und ihre Schulbildung erweitern Globetrotter jedoch um das Reisen als Quelle eigener Erfahrungen: //»Die Welt war meine Universität, die Völker waren meine Lehrer«// (ROX-SCHULZ). Solche Erfahrungen sind aus der Sicht des [[wiki:reisende|Reisenden]] immer authentisch, weil sie unmittelbar sind und ohne Medium auskommen. Die Tiefe und Vielfalt unmittelbarer Erfahrung wird eingeschränkt durch den übermäßigen Einsatz von Buch, Video, Internet
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 [[wiki:fahrendes_volk|Fahrende Leute]] bevölkerten die Straßen, bevor es Ritter und Adel, Bauer und Bürger gab ((''Theodor Hampe'': //Die fahrenden Leute//. Jena 1924)). [[wiki:fahrendes_volk|Fahrende Leute]] bevölkerten die Straßen, bevor es Ritter und Adel, Bauer und Bürger gab ((''Theodor Hampe'': //Die fahrenden Leute//. Jena 1924)).
-Sie verständigten sich seit je mittels »[[wiki:walz#Kundenschall|Rotwelsch]]«, das bereits 1250 als »geheime und arglistige Sprache« altbekannt ist ((''Kluge'': //Rotwelsch// 1901, S. 91, zit. Nach ''Roland Girtler'': //Randkulturen//. Böhlau 1995, S. 243)) und teils dem Mittelhochdeutschen entspringt. KLAUS TRAPPMANN (früher dzg-Mitglied) schrieb zu seiner Ausstellung über //Fahrendes Volk// ((''Klaus Trappmann'': Preis der Freiheit. In: Städtische Kunsthalle Recklinghausen (Hrsg.): //Fahrendes Volk. Spielleute, Schausteller, Artisten//. Katalog zur Ausstellung. Recklinghausen 1981. Derselbe (Hrsg.): //Landstraße, Kunden, Vagabunden. Gregor Gogs Liga der Heimatlosen//. Gerhardt Verlag Berlin 1980)):\\ +Sie verständigten sich seit je mittels »[[wiki:walz#Kundenschall|Rotwelsch]]«, das bereits 1250 als »geheime und arglistige Sprache« altbekannt ist ((''Kluge'': //Rotwelsch// 1901, S. 91, zit. Nach ''Roland Girtler'': //Randkulturen//. Böhlau 1995, S. 243)) und teils dem Mittelhochdeutschen entspringt. KLAUS TRAPPMANN (früher dzg-Mitglied) schrieb zu seiner [[wiki:liste_ausstellungen|Ausstellung]]über //Fahrendes Volk// ((''Klaus Trappmann'': Preis der Freiheit. In: Städtische Kunsthalle Recklinghausen (Hrsg.): //Fahrendes Volk. Spielleute, Schausteller, Artisten//. Katalog zur Ausstellung. Recklinghausen 1981. Derselbe (Hrsg.): //Landstraße, Kunden, Vagabunden. Gregor Gogs Liga der Heimatlosen//. Gerhardt Verlag Berlin 1980)):\\ 
 //»In der Alten Welt glaubte man, daß die Götter arm und zerlumpt auf der Erde erscheinen, um die //»In der Alten Welt glaubte man, daß die Götter arm und zerlumpt auf der Erde erscheinen, um die
 Menschen zu prüfen. Fremdlinge und Bettler nahm Zeus unter seinen besonderen Schutz. Wehe dem, den Menschen zu prüfen. Fremdlinge und Bettler nahm Zeus unter seinen besonderen Schutz. Wehe dem, den
 der Fluch eines abgewiesenen Bettlers traf. Die „flehenden Leute“ gehörten ebenso wie Athleten, Akrobaten, der Fluch eines abgewiesenen Bettlers traf. Die „flehenden Leute“ gehörten ebenso wie Athleten, Akrobaten,
 Seher und Ärzte zu den Demiurgen, den öffentlich Tätigen, den „Eingeweihten.“«//\\  Seher und Ärzte zu den Demiurgen, den öffentlich Tätigen, den „Eingeweihten.“«//\\ 
-Immerhin fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung waren so auf den Straßen unterwegs, bereits 1330 definierte der Begriff //vagabundus// ((nesciretur ubi haberet domicilium suum«, in: ''Guillaume de Breuil'': //Stilus curie Parlamenti// (1330), zit. Nach ''Wolfgang Hartung'': //Die Spielleute im Mittelalter//. Patmos Düsseldorf 2003)) solche, deren [[wiki:wohnsitz|Wohnsitz]] unbekannt ist. Für sie gab es keinen Platz in der Gesellschaft, auf den sie zurückkehren konnten oder wollten. Im Gegensatz zu [[wiki:abenteuer|Abenteurern]] eroberten sie das Nutzlose, ihr Reisen hatte kein definiertes Ziel, war unerlaubt und selbstbestimmt. Die Vagabunden wurden bereits damals als frei bezeichnet ((Ulricus ioculatur tradidit liberum caput suum …, ''Hartung'': aaO S. 167)).\\ +Immerhin fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung waren so auf den Straßen unterwegs, bereits 1330 definierte der Begriff //vagabundus// ((nesciretur ubi haberet domicilium suum«, in: ''Guillaume de Breuil'': //Stilus curie Parlamenti// (1330), zit. Nach ''Wolfgang Hartung'': //Die Spielleute im [[wiki:reisegenerationen#Der Blick zurück: Das Mittelalter als Epoche| Mittelalter]] //. Patmos Düsseldorf 2003)) solche, deren [[wiki:wohnsitz|Wohnsitz]] unbekannt ist. Für sie gab es keinen Platz in der Gesellschaft, auf den sie zurückkehren konnten oder wollten. Im Gegensatz zu [[wiki:abenteuer|Abenteurern]] eroberten sie das Nutzlose, ihr Reisen hatte kein definiertes Ziel, war unerlaubt und selbstbestimmt. Die Vagabunden wurden bereits damals als frei bezeichnet ((Ulricus ioculatur tradidit liberum caput suum …, ''Hartung'': aaO S. 167)).\\ 
 Als unbehauste Menschen entzogen sie sich seit je der Herrschaft, die schnelle Mobilität war ihre Stärke. Im Mittelalter hieß das auch, sich dem Schutz eines Herren zu entziehen. Herrschaft benötigt jedoch Beherrschte. Daher waren nur wenige Gruppen Fahrender herrschaftlich legitimiert und nur die Fernkaufleute durften legitime »internationale« Strukturen aufbauen.\\  Als unbehauste Menschen entzogen sie sich seit je der Herrschaft, die schnelle Mobilität war ihre Stärke. Im Mittelalter hieß das auch, sich dem Schutz eines Herren zu entziehen. Herrschaft benötigt jedoch Beherrschte. Daher waren nur wenige Gruppen Fahrender herrschaftlich legitimiert und nur die Fernkaufleute durften legitime »internationale« Strukturen aufbauen.\\ 
-Landstreicher und Vagabunden werden als Kunden bezeichnet, also als Kundige, Späher, Kundschafter, die sich außerhalb der Siedlungsinseln auskannten. Sie verbreiteten seit je die Kunde vom Unbekannten, das Neue in der Welt. Der direkte Austausch von [[wiki:wissen|Wissen]] untereinander und ihr Wissensvorsprung gegenüber den Seßhaften war ihre dritte Stärke, neben dem [[wiki:walz#Kundenschall|Rotwelsch]]und ihrer Mobilität. Damit mußten sie die fehlende Sicherheit einer ortsfesten sozialen Position ausgleichen.\\ +Landstreicher und Vagabunden werden als [[wiki:kundige|Kunden]] bezeichnet, also als Kundige, Späher, Kundschafter, die sich außerhalb der Siedlungsinseln auskannten. Sie verbreiteten seit je die Kunde vom Unbekannten, das Neue in der Welt. Der direkte Austausch von [[wiki:wissen|Wissen]] untereinander und ihr Wissensvorsprung gegenüber den Seßhaften war ihre dritte Stärke, neben dem [[wiki:walz#Kundenschall|Rotwelsch]]und ihrer Mobilität. Damit mußten sie die fehlende Sicherheit einer ortsfesten sozialen Position ausgleichen.\\ 
 //»Ich glaube, daß wir Heutigen, die wir daran gewöhnt sind, frei Haus gelieferte Erkenntnisse zu verkonsumieren, weitgehend vergessen haben, daß die Wahrheit ihren Preis hat. Oder wie ein Eskimo-Schamane zu ''Knud Rasmussen'' sagte: Ihr wißt nicht, daß nur der erkennt, der in die Einsamkeit geht und Leiden erträgt. … Die Menschen haben immer wieder die Wahl. Aber bereits die Eva des Alten Testaments gab ja bekanntlich die Geborgenheit des Paradieses hin für die Wahrheit.«// ((''Hans Peter Duerr'': //Traumzeit. Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation//. Syndikat 1978. Insbesondere das Kapitel: //Road Bilong Science//)) //»Ich glaube, daß wir Heutigen, die wir daran gewöhnt sind, frei Haus gelieferte Erkenntnisse zu verkonsumieren, weitgehend vergessen haben, daß die Wahrheit ihren Preis hat. Oder wie ein Eskimo-Schamane zu ''Knud Rasmussen'' sagte: Ihr wißt nicht, daß nur der erkennt, der in die Einsamkeit geht und Leiden erträgt. … Die Menschen haben immer wieder die Wahl. Aber bereits die Eva des Alten Testaments gab ja bekanntlich die Geborgenheit des Paradieses hin für die Wahrheit.«// ((''Hans Peter Duerr'': //Traumzeit. Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation//. Syndikat 1978. Insbesondere das Kapitel: //Road Bilong Science//))
  
 Die Welt dort draußen war einmal eine alltägliche Erfahrung, knapp außerhalb der Dorfhecke oder der Stadtmauer, man lese die Grimmschen Märchen. Was nach draußen gehörte, zeigt sich bereits früh im Zuständigkeitsbereich der antiken Götter: //Hermes// und //Merkur// schützten als [[wiki:reisegoetter|Reisegötter]] die Wege, den Verkehr, die Wanderer, Kaufleute und Hirten, die Diebe, Künstler, die Redekunst, die Magie. Hermes wird als junger Mann mit breitrandiger Kappe und geflügelten Sandalen dargestellt, der einen mit zwei Schlangen gekrönten Heroldstab (Caduceus) trägt. Im alten Griechenland garantierte dieser [[wiki:stab|Stab]] eine sichere Reise, auch in Zeiten des Krieges.\\  Die Welt dort draußen war einmal eine alltägliche Erfahrung, knapp außerhalb der Dorfhecke oder der Stadtmauer, man lese die Grimmschen Märchen. Was nach draußen gehörte, zeigt sich bereits früh im Zuständigkeitsbereich der antiken Götter: //Hermes// und //Merkur// schützten als [[wiki:reisegoetter|Reisegötter]] die Wege, den Verkehr, die Wanderer, Kaufleute und Hirten, die Diebe, Künstler, die Redekunst, die Magie. Hermes wird als junger Mann mit breitrandiger Kappe und geflügelten Sandalen dargestellt, der einen mit zwei Schlangen gekrönten Heroldstab (Caduceus) trägt. Im alten Griechenland garantierte dieser [[wiki:stab|Stab]] eine sichere Reise, auch in Zeiten des Krieges.\\ 
 Er war der Gott, der die Grenze zwischen den Toten und den Lebenden am einfachsten überquerte. Dieser Grenze entsprach im Alltag der Zaun zwischen Kultur und [[wiki:wildnis|Wildnis]], die Hecke, der Hag. Die Hirten und Schäfer draußen wurden dem ehrlosen Volk zugerechnet und galten als Lehrer der Hexen; das Wort Hexe stammt von Hagazussa, die mit einem Bein in der Wildnis und mit dem anderen in der Kultur steht und auf der Hecke reitet.\\  Er war der Gott, der die Grenze zwischen den Toten und den Lebenden am einfachsten überquerte. Dieser Grenze entsprach im Alltag der Zaun zwischen Kultur und [[wiki:wildnis|Wildnis]], die Hecke, der Hag. Die Hirten und Schäfer draußen wurden dem ehrlosen Volk zugerechnet und galten als Lehrer der Hexen; das Wort Hexe stammt von Hagazussa, die mit einem Bein in der Wildnis und mit dem anderen in der Kultur steht und auf der Hecke reitet.\\ 
-Die Verstoßenen hatten nur diese Welt, verstanden sich allerdings nicht unbedingt als Opfer. Das Leben auf der Landstraße war lange Zeit auch ein alternativer Lebensentwurf, der vielleicht erst durch das aus im Mittelalter entstandene ora et labora abgewertet wurde.+Die Verstoßenen hatten nur diese Welt, verstanden sich allerdings nicht unbedingt als Opfer. Das Leben auf der Landstraße war lange Zeit auch ein alternativer Lebensentwurf, der vielleicht erst durch das aus im [[wiki:reisegenerationen#Der Blick zurück: Das Mittelalter als Epoche| Mittelalter]] entstandene //ora et labora// abgewertet wurde.
 Wer von draußen kam, dem begegnete man mit Mißtrauen, bis heute. Gegenüber den Seßhaften ist das Fahrende Volk zusätzlichen Pflichten unterworfen: Polizeikontrollen, Verbote und Verhaltensvorschriften, Sitte und Moral, Meldepflicht, bestimmte Stellplätze und Übernachtungsplätze, beschränkte Aufenthaltsdauer … Doch die so eingeschränkte Freiheit von etwas fordert die Kundigen auch heraus, sie zu unterlaufen. Zudem sieht man sie gerne wieder gehen, also haben sie die Freiheit jederzeit aufzubrechen in die Welt draußen, in der sie sich bewegen wie ein Fisch im Wasser, wie ein Vogel in der Luft.\\  Wer von draußen kam, dem begegnete man mit Mißtrauen, bis heute. Gegenüber den Seßhaften ist das Fahrende Volk zusätzlichen Pflichten unterworfen: Polizeikontrollen, Verbote und Verhaltensvorschriften, Sitte und Moral, Meldepflicht, bestimmte Stellplätze und Übernachtungsplätze, beschränkte Aufenthaltsdauer … Doch die so eingeschränkte Freiheit von etwas fordert die Kundigen auch heraus, sie zu unterlaufen. Zudem sieht man sie gerne wieder gehen, also haben sie die Freiheit jederzeit aufzubrechen in die Welt draußen, in der sie sich bewegen wie ein Fisch im Wasser, wie ein Vogel in der Luft.\\ 
 Das Reisen der Fahrenden ist unserer Art des Reisen nahe verwandt ((''Rolf Potts'': //Vagabonding. An uncommon guide to the Art of Long-Term World Travel.// 2003, siehe Trotter 124; sowie ''M.L. Endicott'': Vagabond Globetrotting. State of the Art. Enchiridon Int. Cullowhee1984)). Globetrotter organisieren sich – einmal unterwegs – durch Informationsaustausch untereinander. Sie nehmen sich die Freiheit, die sie brauchen und haben ein Know-How, das vieles möglich macht. Einmal unterwegs, ist jeder Tag neu, wird kreativ und aktiv gestaltet, ist dem Risiko des Scheiterns ausgesetzt. Eine selbstbestimmte und eigenverantwortliche Freiheit zu etwas (»positive Freiheit«) erlaubt es, sich neue Ziele zu setzen, neue Wege zu gehen, aufzubrechen wohin und wann man will … Das Reisen der Fahrenden ist unserer Art des Reisen nahe verwandt ((''Rolf Potts'': //Vagabonding. An uncommon guide to the Art of Long-Term World Travel.// 2003, siehe Trotter 124; sowie ''M.L. Endicott'': Vagabond Globetrotting. State of the Art. Enchiridon Int. Cullowhee1984)). Globetrotter organisieren sich – einmal unterwegs – durch Informationsaustausch untereinander. Sie nehmen sich die Freiheit, die sie brauchen und haben ein Know-How, das vieles möglich macht. Einmal unterwegs, ist jeder Tag neu, wird kreativ und aktiv gestaltet, ist dem Risiko des Scheiterns ausgesetzt. Eine selbstbestimmte und eigenverantwortliche Freiheit zu etwas (»positive Freiheit«) erlaubt es, sich neue Ziele zu setzen, neue Wege zu gehen, aufzubrechen wohin und wann man will …
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 Damals meinte frei die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft von Gleichberechtigten, die weder abhängig, noch versklavt noch untertänig waren, sondern [[wiki:autarkie|autark]] und [[wiki:souveraenitat|souverän]] auf eigenem Boden herrschten – ohne äußere Herrschaft. Nur in diesem Miteinander und Dazugehören gab es Sicherheit und Geborgenheit mit Heim und Haus, Familie, Freunden und Nachbarschaft. Man band sich an diese Werte aus innerer Überzeugung, nicht durch die Gewalt eines Oberen. Jeder tat frei und willig das Seine, damit die Gemeinschaft ((Z.B. agnatisch-genossenschaftlicher Geschlechterverband, Schwurbrüderschaft von Sippen, Siedlungsgenossenschaft)) erhalten bliebe zum Wohle aller. Nicht die maximale Handlungsfreiheit des Einzelnen wurde angestrebt, sondern eine optimale Handlungsfreiheit für alle. Diese Form sozialer Bindung vermittelte das Gefühl von Freiheit. Die Eid-Genossen gründeten auf diesem Prinzip 1291 die Schweiz, der »Rütli-Schwur« stand an deren Anfang. Schillers Wilhelm Tell steht für dieses Freiheitsverständnis. Damals meinte frei die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft von Gleichberechtigten, die weder abhängig, noch versklavt noch untertänig waren, sondern [[wiki:autarkie|autark]] und [[wiki:souveraenitat|souverän]] auf eigenem Boden herrschten – ohne äußere Herrschaft. Nur in diesem Miteinander und Dazugehören gab es Sicherheit und Geborgenheit mit Heim und Haus, Familie, Freunden und Nachbarschaft. Man band sich an diese Werte aus innerer Überzeugung, nicht durch die Gewalt eines Oberen. Jeder tat frei und willig das Seine, damit die Gemeinschaft ((Z.B. agnatisch-genossenschaftlicher Geschlechterverband, Schwurbrüderschaft von Sippen, Siedlungsgenossenschaft)) erhalten bliebe zum Wohle aller. Nicht die maximale Handlungsfreiheit des Einzelnen wurde angestrebt, sondern eine optimale Handlungsfreiheit für alle. Diese Form sozialer Bindung vermittelte das Gefühl von Freiheit. Die Eid-Genossen gründeten auf diesem Prinzip 1291 die Schweiz, der »Rütli-Schwur« stand an deren Anfang. Schillers Wilhelm Tell steht für dieses Freiheitsverständnis.
  
-Das Ende dieses umfassenden Lebensverständnisses begann, als sich im Mittelalter die Stände von Ritter und Bürger bildeten. Erst damit entstand der »an die Scholle gebundene« Bauer. 1538 erwähnt der Chronist den Freibauern als außergewöhnlich ((''Theodor Kantzow'' über die Bauern in Pommern und Rügen, in: //Chronik von Pommern// 1538)). Die freie Bauernrepublik Dithmarschen endete 1559, vergleichbare Ansätze gab es im Bregenzerwald und in Gotland, in den sieben freien Gemeinden der norditalienischen Alpen oder in den sieben freien Hagen an der Weser. Die Rechte der letzten Freiherren als Souverän auf eigenem Land wurden vom //Wiener Kongreß// 1814 getilgt.+Das Ende dieses umfassenden Lebensverständnisses begann, als sich im [[wiki:reisegenerationen#Der Blick zurück: Das Mittelalter als Epoche| Mittelalter]] die Stände von Ritter und Bürger bildeten. Erst damit entstand der »an die Scholle gebundene« Bauer. 1538 erwähnt der Chronist den Freibauern als außergewöhnlich ((''Theodor Kantzow'' über die Bauern in Pommern und Rügen, in: //Chronik von Pommern// 1538)). Die freie Bauernrepublik Dithmarschen endete 1559, vergleichbare Ansätze gab es im Bregenzerwald und in Gotland, in den sieben freien Gemeinden der norditalienischen Alpen oder in den sieben freien Hagen an der Weser. Die Rechte der letzten Freiherren als Souverän auf eigenem Land wurden vom //Wiener Kongreß// 1814 getilgt.
 Das Verständnis von individueller Freiheit wandelte sich: die Freiheit unter Gleichen wurde durch die Freiheit zur Selbstverwirklichung verdrängt ((http://home.tiscalinet.ch/lothar.knaak/onlineD.html?Freiheit.html)), die Gemeinschaft der Freien durch den Staat. Ausnahmslos sind wir als Untertanen der Fürsorge des Staates unterworfen, dem Garanten von Ordnung und Sicherheit. Die meisten sind es zufrieden, denn nur wenige reizt angesichts des Risikos die Freiheit zu mehr Verantwortung. Das Verständnis von individueller Freiheit wandelte sich: die Freiheit unter Gleichen wurde durch die Freiheit zur Selbstverwirklichung verdrängt ((http://home.tiscalinet.ch/lothar.knaak/onlineD.html?Freiheit.html)), die Gemeinschaft der Freien durch den Staat. Ausnahmslos sind wir als Untertanen der Fürsorge des Staates unterworfen, dem Garanten von Ordnung und Sicherheit. Die meisten sind es zufrieden, denn nur wenige reizt angesichts des Risikos die Freiheit zu mehr Verantwortung.
  
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 Gesetzen für uns bauen und auf der Stange hocken. Verschwenderisch und unbarmherzig wie Tiger Gesetzen für uns bauen und auf der Stange hocken. Verschwenderisch und unbarmherzig wie Tiger
 kommen wir auf die Welt; wir müssen sparen oder hungern und frieren. Wir sind geboren, um zu wandern kommen wir auf die Welt; wir müssen sparen oder hungern und frieren. Wir sind geboren, um zu wandern
-und sind verflucht, an der Scholle zu kleben und zu graben.«// ((''William Bolitho'': //Zwölf gegen das Schicksal. Die Geschichte des Abenteuers//. Kiepenheuer Vlg., 1931)) Pathetisch wird hier die Freiheit des unbeherrschten Einzelnen idealisiert, die sich im Unterwegs-Sein äußert.+und sind verflucht, an der Scholle zu kleben und zu graben.«// ((''William Bolitho'': //Zwölf gegen das Schicksal. Die Geschichte des Abenteuers//. Kiepenheuer Vlg., 1931)) Pathetisch wird hier die Freiheit des unbeherrschten Einzelnen idealisiert, die sich im [[wiki:unterwegs-sein|Unterwegs-sein]] äußert.
  
 Wer in unserem Zeitalter frei sagt, beansprucht das individuelle Recht, von jeder Verpflichtung, von jeder Verhaltensregel frei zu sein. //»Dass Freiheit heutzutage eher die sittliche Entfesselung meint als die ortsgebundene Gesittung, beruht wohl auf dem natürlichen Raubinstinkt ([[wiki:philobatie|Philobatie]]), der in Widerstreit mit dem Wunsch nach Geborgenheit ([[wiki:oknophilie|Oknophilie]]) liegt.«// ((http://home.tiscalinet.ch/lothar.knaak/onlineD.html?Freiheit.html)) Muß man also wählen, Adler oder Kaninchen sein? Wer in unserem Zeitalter frei sagt, beansprucht das individuelle Recht, von jeder Verpflichtung, von jeder Verhaltensregel frei zu sein. //»Dass Freiheit heutzutage eher die sittliche Entfesselung meint als die ortsgebundene Gesittung, beruht wohl auf dem natürlichen Raubinstinkt ([[wiki:philobatie|Philobatie]]), der in Widerstreit mit dem Wunsch nach Geborgenheit ([[wiki:oknophilie|Oknophilie]]) liegt.«// ((http://home.tiscalinet.ch/lothar.knaak/onlineD.html?Freiheit.html)) Muß man also wählen, Adler oder Kaninchen sein?
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