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Autonomie

Zusammengesetzt aus den altgriechischen Wörtern αὐτός autós »selbst« und νόμος nómos »Gesetz« erklärt sich der Begriff als die Fähigkeit des Menschen, sich als Person selbst zu bestimmen. Autonomie bildet gemeinsam mit *Autarkie und *Mündigkeit die Voraussetzung zur *Souveränität.

Frei entscheiden und handeln

Das setzt die Freiheit voraus, selbstbestimmt zu entscheiden und die Möglichkeit auch so zu handeln. Dazu muss der Mensch fähig sein, sich als freies Wesen zu erkennen und danach streben, durch Denken und Handeln den Raum seiner *Freiheit zu dehnen.
Je kleiner der Raum fürs Denken und Handeln wird, desto geringer ist die Autonomie. Die Größe des Raums wird bestimmt durch innere Fähigkeiten und äußere Möglichkeiten, ist also teils selbstbestimmt, teils fremdbestimmt, jedoch variabel. In diesem Raum übt das Individuum seine Rechte aus, ist souverän. Reisende verwirklichen sich handelnd über folgende Felder:

Handlungsleitende Imperative

Das Gegenteil selbstbestimmten Handelns ist ein fremdbestimmes Ausgeliefert-Sein, resultierend aus

  • Feigheit
  • Faulheit und Bequemlichkeit

Das Unterwerfen unter äußere handlungsleitende Maximen setzt immerhin ein Einverständnis voraus, man handelt aus:

  • Notwendigkeit, also aus Selbstschutz
  • Pflicht, also durch Gehorsam und Unterwerfung unter ein Wertesystem

Die Wirtschaftstheoretiker definieren den Menschen als ein ökonomisch rational handelndes Wesen, das den Eigennutz zur Maxime hat. Dieses Konzept funktioniert jedoch außerhalb des Lehrbuchs nicht so recht.

Die vorgenannten Maximen erklären aber nicht hinreichend menschliche Handlungen: Warum tun wir Dinge, die wir nicht tun müssten und von denen wir uns keinen Vorteil erhoffen? Die weder Pflicht sind, die niemand von uns erwartet, die weder opportun sind noch belohnt werden oder deren Nicht-Tun bestraft würde? Solches Handeln wird als »supererogativ« bezeichnet 1) und plakativ umrissen als viertes Handlungsfeld der Heiligen und Helden 2) neben dem Erlaubten, Verbotenen und Gesollten.

Um Mensch zu sein müssen Fähigkeiten und Möglichkeiten, Denken und Handeln im Einklang stehen. Der ästhethische Imperativ von Heinz von Foerster lautet daher:

»Willst Du erkennen, so lerne zu handeln.«

Ähnlich erkannte Erich Kästner nach dem Ende des Dritten Reiches

»Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.«

Der technische Imperativ von Hans Jonas 3) verfolgt alleine das Machbare:

»Handle so, dass keine der Dir zu Gebote stehenden 
technischen Möglichkeiten ungenutzt bleibt.«

Das Machbare wird damit ausgelotet ohne Rücksicht auf die Folgen, während Immanuel Kants kategorischer Imperativ die wünschbaren (sozialen) Folgen im Blick hat:

»Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du wollen kannst, 
dass sie ein allgemeines Gesetz werde.«

Hans Jonas erweitert das Wünschbare auf die Welt als Ganzes, weil der Mensch auch Verantwortung für seine Umwelt und Nachwelt habe und formulierte den ökologischen Imperativ:

»Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind 
mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden«

Wer frei sein will, muss beides nutzen, die Grenzen des Denkbaren und Machbaren dehnen.

»Handle stets so, dass mehr Möglichkeiten entstehen!«

formulierte der Physiker Heinz von Foerster seinen ethischen Imperativ 4). Er antwortete in einem Interview mit dem Sonntagsblatt auf die Frage:
»Das bedeutet, der Konstruktivismus - verstanden als eine Haltung - ist auch eine Art Medizin gegen den Dogmatismus, gegen ein eindimensionales Denken?«

»Ja, wunderbar! Das gefällt mir! Man könnte auch sagen, 
daß hier eine Art Tanz mit der Welt versucht wird, 
der einen zu immer neuen Betrachtungsweisen bringt. 
Die Beschränkungen und Verflachungen, die diese schreckliche Idee der Ontologie 
- die Lehre vom wirklich Vorhandenen - 
mit sich bringt, werden aufgehoben. Es ergeben sich diese und jene Schritte, 
dann dreht man sich, und plötzlich sieht man etwas Neues, gänzlich Unerwartetes.«

Autonomie bringt so die *Freiheit, die *Welt neu *wahrzunehmen, sie verändert die *Weltanschauung und erzeugt dasselbe *Staunen, das den *Reisenden bewegt. Das Maß an gelebter Autonomie bestimmt, für welche Welt wir uns entscheiden: *real life oder virtual reality. Eine gelebte Autonomie setzt einen *autarken Handlungsraum voraus und begibt sich an die Grenze des asozialen Handelns.

Asoziale Helden und dogmatische Systembewahrer

Der Anspruch ist hoch, der Alltag sieht anders aus und wird bei vielen von der Bequemlichkeit bestimmt, von Zynismus und Selbstsucht. Dadurch lassen sich holzschnittartig drei Gruppen erkennen:

  • Bewahrer: Es gibt eine systemdominante Mittelmäßigkeit, die sich schulterklopfend gerne selbst bestätigt. Dazu gehört auch eine selektive Wahrnehmung: »Was nicht sein darf, das nicht sein kann«. Zur Bestätigung gehören die Geilheit auf Anerkennung und der ungehemmte Wunsch nach Prominenz, der sich massenhaft in Selfies bei Instagram anschauen lässt. Die Individualität ist äußerlich, marginal und vorgetäuscht, denn vor den Selfie-Plätzen wartet eine Schlange. Das aus der Werbung bekannte »Ich will so bleiben, wie ich bin«bestätigt den bequemen Status Quo; zum Ausweis der Authentizität genügen oberflächliche Schrullen.
    Abweichler werden nivelliert, etwa durch Konsenszwang bei Entscheidungen, durch Quoten beim Auswählen, durch Bildungsziele (Jeder muss Abitur haben), durch ein Abwerten der »Elite« und eines »deep states«, durch Missachten von Fakten (Beliebtes Gegenargument: »Ich bin aber der Meinung …«) und ein Aufwerten von Fakes. Systembewahrer bilden das Treibgut im Mainstream, hin und her getrieben von Flurfunk und Lagerdenken, Dogma und Ideologie.
  • Influencer verstehen, wie Systembewahrer und Helden ticken und sind in gewissem Sinne selber Helden, weil sie ihre Fähigkeiten anwenden, das System zu beeinflussen. Influencer arbeiten in erster Linie mit Gefühlen und zielen auf Meinungen und Einstellungen. Man findet sie als Werber, Moderatoren, Publizisten, Politiker - überall dort, wo Massen bewegt werden. Das kann man so oder so bewirken. Weil die meisten hören wollen, was sie erwarten, sind sie bereit Botschaften so zu interpretieren, wie sie haben wollen. »Framing« ist das neudeutsche Wort für das Verfahren Botschaften zu verpacken, und Teil »manipulativer Sozialtechniken« wie Priming, Nudging, Targets. Die Kunst des Framing besteht darin, Interpretationen eines Themas subtil in einer Botschaft zu vermitteln (Inklusion) oder auszuschließen (Exklusion).
  • Helden gehen auf in dem, was sie tun. Und sie tun es gerne, weil sie gefunden haben, was sie gut können. Sie haben den »Möglichkeitssinn«, gehen neugierig an Grenzen und überschreiten sie manchmal auch. Das gilt für die »Helden des Alltags« ebenso wie für viele Reisende oder die berühmten Abenteurer. Der Philosoph Wolfram Eilenberger nennt sie »soziale Störenfriede«, deren Talente und Sehnsüchte sie weit aus ihrer Handlungsgemeinschaft herausragen lassen. Er beschreibt sie unter der Überschrift »Asozial, autonom, autark«, fokussiert dabei jedoch auf »Gründer« und »Elite«. 5)

Helden motivieren sich von innen über Selbstachtung (intrinsich), Systembewahrer werden von außen motiviert über Anerkennung (extrinsisch), Influencer motivieren sich über Machtgefühle.

Perspektive und Welt

Selbstbestimmung findet ihren Sinn, weil sie sich auf eine Perspektive richtet, auf die Position in der *Welt.

  • Unerlässlich ist dazu die *Neugier als hinausziehende Kraft. Wer stattdessen glaubt, alles zu kennen und zu wissen betreibt die Gamification der Wirklichkeit.
  • Unerlässlich ist die Offenheit für neue Erfahrungen und damit verbunden die Bereitschaft, *Risiken einzugehen.
  • Unerlässlich ist die Fähigkeit zu *Staunen über das *Neue und Unerwartete, das außerhalb der Bequemlichkeitszone zu finden ist.

Mit einer solchen Perspektive übernehmen wir Verantwortung für die Welt, da sie ein Teil von uns wird. Hannah Arendt führte diesen Gedanken zu Ende (Vita activa oder Vom tätigen Leben, 1960) und meinte: Arbeiten, Herstellen und Handeln sind Tätigkeiten, die dem Menschen eignen und ihn in der Welt einzigartig machen. Also kann der Mensch nur in Ausübung dieser Tätigkeiten gemeinsam mit anderen Menschen seinem Leben einen Sinn geben. Dieser Sinn kann jedoch nicht darin bestehen, in der Routine zwischen Arbeit und Konsum gefangen zu bleiben, in stetiger Bestätigung des Gewohnten und Erwartbaren. Solches Nichts-wissen-Wollen von der Welt wäre ziellos, planlos, perspektivlos. Damit gäbe der Mensch seine Zukunft auf.

»Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge,
würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.«

Weder von Martin Luther noch eine chinesische Weisheit, jedoch passend 6)

1)
Lukas 10, 25–37 »et quodcumque supererogaveris ego cum rediero reddam tibi«
Marie-Luise Raters
Einleitung: Jenseits der Pflicht? Einleitende Reflexionen zur Supererogation
Zeitschrift für Praktische Philosophie Band 4, Heft 2, 2017, S. 107–116
www.praktische-philosophie.org https:doi.org/10.22613/zfpp/4.2.5
2)
J. Urmson Saints and Heroes 1958
3)
Hans Jonas
Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation
Frankfurt/M. 1979
4)
Sicht und Einsicht : Versuche zu einer operativen Erkenntnistheorie
Heinz von Foerster. Autoris. dt. Fassung von Wolfram K. Köck
Braunschweig: Vieweg 1985, XI, 233 S.
Über das Konstruieren von Möglichkeiten 1973
5)
Die Zeit 24. September 2018
6)
„Mit Luther hat der Spruch nichts zu tun“. Reinhard Bingener spricht mit dem Theologieprofessor Martin Schloemann FAZ 15.04.2017
wiki/autonomie.1592578983.txt.gz · Zuletzt geändert: 2020/06/19 15:03 von norbert

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