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wiki:1999_iran

Impressionen aus dem Iran

Auf vergessenen Pfaden von Köln nach Indien Teil 2

Sonja Roschy & Norbert Lüdtke (1999)

Unsere Route führte uns mit dem Auto, einem 18 Jahre alten Ford Escort, von der Türkei aus in den Iran (bei Dogubayazit) und von dort über Täbris, Teheran, Isfahan wieder nach Norden, auf einer Nebenstrecke nach Turkmenistan. Einige besonders eindrucksvolle Situationen haben wir im Folgenden skizziert.

Erste Eindrücke

Schon auf türkischer Seite hatten wir eine Wasserscheide passiert, nun fließen die Gewässer ins Kaspische Meer. Auch die Landschaftändert sich, es wird trockener und die Berge zu beiden Seiten bieten runde, verwaschene Formen mit Mulden und Schuttkegeln zu ihren Füßen – sie sehen uralt aus und haben sich im Laufe der Äonen eine Würde erworben, die ihr Antlitz prägt und sie gelassen zuschauen läßt dem hektischen Treiben der kurzlebigen Menschlein. In diesem Grenzland von Türkei, Armenien, Aserbaidschan, Iran haben sich immer wieder Hochkulturen berührt. Hier kreuzten sich die Wege zwischen Schwarzem und Kaspischen Meer, war der Kaukasus Durchgangsland in den Norden Asiens und Europas, nach Süden führten die Wege in die arabische Halbinsel und nach Afrika, nach Osten führt die Seidenstraße ins zentrale Asien, nach Sibirien, die Mongolei und China oder auch südlich nach Pakistan und Indien. Mit der armenischen Kirche entstand hier die erste christliche Gemeinde in der Geschichte – heute sind die Christen nur noch eine geduldete Minderheit.

Die Lehmarchitektur dieser Region hat jedoch kaum Zeugnisse bestehen lassen – wenn diese Häuser nicht gepflegt werden, zerreiben Wind, Wasser und Temperaturunterschiede die einfachen Häuser innerhalb weniger Jahre oder Jahrzehnte zu Staub, der sich in nichts von der Umgebung unterscheidet. Vieles spricht jedoch dafür, daß sich in der Bebauung kaum etwas geändert hat. Wer sich in diesen nomadischen Kulturen seßhaft machte, ersetzte den Zaun durch eine wehrhafte, hohe Lehmmauer, setzte eine massive, doppelflügelige Holztür ein und gab dem ganzen ein abweisendes Äußeres. In den vier Ecken genügten jeweils zwei weitere Mauern, um eine bescheidene Unterkunft herzurichten; wurde der Nachwuchs groß, wurde angebaut, bis das Gehöft allseitig umbaut war, in der Mitte hielt sich nachts das Vieh auf. Dächer entstanden mehr als Schutz vor der Sonne als vor Regen. Stein und Holz konnte nur der einsetzen, der vermögend war.

In der wasserarmen Gegend mit ihren Erdfarben zwischen rot, braun und ocker fällt jedes Grün auf, wirkt oasenartig und gepflegt. Anders als auf türkischer Seite müssen sich hier die Menschen aktiv bemühen, um Grünes zum Gedeihen zu bringen. Gärten, Felder, Plantagen, Grasflächen überleben nur durch Bewässerung. Vielleicht liegt es daran, daß mir die Dörfer sauberer erscheinen als in der Türkei, gepflegter, ordentlicher mit weniger Müll auf den Straßen. Die Hitze ist auch im Auto enorm und erstmals erscheinen die 3 Liter Wasser, die wir ständig füllen, als zu klein.

Chaos mit System – Auto fahren in Teheran

Der Verkehr in Teheran ist unbeschreiblich und mit nichts zu vergleichen, was ich kenne: Paris ist dagegen ein Kindergarten, selbst Istanbuler Verhältnisse nehmen sich vergleichsweise diszipliniert aus. In Kairo könnte es dem Temperament nach ebenso schlimm sein, doch sind die Straßen einfach zu verstopft. Schon auf der Herfahrt hatte ich Seltsames beobachtet: Kilometerlang fahre ich hinter einem Iraner her, der mir eigentlich zu langsam ist, doch ich habe keine Lust für den Überholstreß. Nun wird der aber immer langsamer, schleichend, bis ich dann doch überhole. Da dort draußen auf den Landstraßen kaum Verkehr ist, ist das kein Problem. Nun fängt der aber hinter mir an zu drängeln und obwohl ich schneller bin als er die gesamte Zeit vorher, wird ein Wettrennen daraus. Ich lasse ihn überholen, der Typ ist außer Sicht, aber 5 Minuten später bin ich wieder dran, weil er wieder schleicht. Nun wird mir das Überholen aber nicht mehr so einfach gemacht wie beim ersten Mal. Und alle Insassen des anderen Wagens nehmen engagiert an diesem Spiel teil. Im Stadtverkehr nimmt das aber dramatische Ausmaße an und es scheint nur zwei Regeln zu gebe, die allgemein akzeptiert werden:

  1. Nutze jeden sich bietenden Vorteil, und
  2. Bei drohenden Kollisionen ist zu hupen.

Alle Verkehrsregelungen werden ignoriert, auch rote Ampeln, Einbahnstraßen. Hier gelte ich als Verkehrshindernis, weil ich zuerst einmal dazu neige, die üblichen regeln einzuhalten. Das wird teilweise gefährlich, denn welcher Iraner achtet schon darauf, daß ich blinke und daß auch noch ein Abbiegen folgt! Vieles läuft über Blickkontakt und über Handzeichen, auch sind Reaktionsschnelligkeit und Augenmaß der hiesigen Fahrer beachtlich und kunstvoll.

Auf der Autobahn nach Isfahan mache ich dann noch ganz andere Beobachtungen: Zum Picknick fährt man einfach rechts ran, die Familie breitet einen Teppich aus; Fußgänger, Fahrradfahrer und auch schon mal der eine oder andere Eselskarren sind völlig normal, doch den Mullah, der uns tief versunken auf dem Mittelstreifen entgegenkommt, als wandele er in einem Park und Vögel umzwitscherten ihn, finden wir schon erstaunlich. Dann wird vor uns ein Wagen angeschoben (auf der mittleren Spur), er springt an, die Schiebenden tanzen über die ganze Breite der Autobahn, der Wagen fährt noch ein Stück und wendet dann, um die anderen Mitfahreenden abzuholen. Keinen stört's, auch die Polizei nicht.

Coo–Cack–Cola und iranische Doppelmoral

Meran, der Iraner, braucht nur einen Anstoß, dann legt er los: Ja, man könne im Iran alles haben, was verboten, alles sei käuflich! Auch Alkohol, auch die Strafe, die darauf steht, auch ein verhängtes Todesurteil sei nur eine Frage des Geldes. Privat würde alles gemacht, alles kritisiert, aber es gäbe keine offene Kritik, man würde eben so leben wie die Mullahs es verlangten – zumindest im öffentlichen Raum.

Zwar sei eine gewisse Liberalisierung wahrzunehmen, doch der Präsident könne sich nicht durchsetzen, auch seien die Schritte zu klein. Liberalisierung heißt beispielsweise bei der Kleidung der Frauen: da lugen schon einmal die bloßen Füße heraus, sind nicht mit schwarzen Strümpfen bedeckt, da rutscht das Kopftuch nach hinten und läßt vorne Haare sehen oder der Mantel wird kürzer und ist nicht mehr schwarz, sondern bekommt Farbe, ganz Wagemutige haben ihn am Hals so weit geöffnet, daß sogar etwas Hals zu sehen ist. Und doch ist es eine Doppelmoral: an der Grenze bietet uns der Staatsbedienstete ohne jede Scheu an, unser Geld schwarz zu tauschen. Die Polizei wird im Straßenverkehr völlig ignoriert. In ein Stammrestaurant kann man schon mal seinen eigenen Alkohol mitbringen. Alle verlangen Dollar, auch wenn an den Wänden Anti–Amerika–Propaganda hängt. So groß ist das Bedürfnis nach amerikanischen Symbolen, daß es gleich 4 oder 5 Cola-Imitate gibt, u.a. ein Coo-Cack-Cola. Mehrfach meinte ich einen verächtlichen Unterton zu hören, wenn vom System der Mullahs die Rede war. Das wurde als etwas Fremdes aufgefaßt, „die da oben“. Und so verlieren der Staat und seine Symbole langsam ihre Autorität und ihren Wert.

Nomadische Wurzeln

Die Teppiche der turkmenischen Nomaden, eigentlich Kelims (nicht geknotet, sondern gewebt) weisen Muster auf, die an Muster der Navajos erinnern. Das ist kein Zufall, sondern die Muster lassen sich verfolgen nach Sibirien, zu den Eskimos und von dort zu den Indianern. Jeder handgemachte Teppich ist Teil des Lebens der Weberin, sie webt darin ein ihre Wünsche und Träume und Ängste. Nahezu alle Muster lassen sich daher konkret deuten: als Tanz, als Kinderwunsch, Suche nach einem Mann, als abtrahierte Tier– oder Pflanzendarstellung, die gleichwohl wieder Symbolwert haben. (J. Kalter: Aus Steppe und Oase. Bilder turkestanischer Kulturen. ed.mayer, Stuttgart 1983)

Die Verwandtschaft nomadischer Völker zeigt sich aber auch in den sprituellen Wurzeln. Der etwa 700 v.Chr. von Zoroaster eingeführte Feuerkult ist noch heute lebendig. Er war vor 1000 Jahren Staatsreligion, seine heutigen Zentren liegen in Yazd und Bombay und er ist nach dem Judentum die zweitälteste monotheistische Religion. Für ihre Gläubigen ist die Erde heilig und darf nicht durch verwesende Leichenteile verunreinigt werden. Vermutlich entstand dieser Glaube in den Tundren Sibiriens, da der Dauerfrostboden dort keine Erdbestattung zulässt. Also veranlasste die Priesterkaste, die Magier (unser Wort stammt daher) den Bau der „Türme des Schweigens“ (Dakhma), wie sie heute noch in Bombay benutzt werden: Dort werden die Toten auf der Turmspitze aufbewahrt und den Geiern zum Fraß überlassen. Das Feuer ist ihnen ein Teil der göttlichen Allmacht und das königlichste aller Feuer muß hervorgehen aus 16 Flammen: der eines Scheiterhaufens, einer Töpferwerkstatt, eines Reisenden, eines Hirten eines Königs usw. und zuletzt durch einen Blitz. Ein solches Feuer brennt seit 1256 Jahren in Udwada. Welchen Einfluß dieser Glaube heute noch hat, zeigt sich in folgender Geschichte: Als der letzte Feuerpriester in Aden/Jemen starb, wurde dessen Feuer in einer ausschließlich von Parsen besetzten Sondermaschine nach Bombay überführt. Zöllner durften die Transporturne nicht öffnen, da sonst das Feuer entweiht worden wäre. Der gesamte Verkehr zu Lande und in der Luft wurde rund um Bombay gestoppt und nach der Landung das Feuer in den nächsten Feuertempel überführt.

Dieser Feuerkult läßt sich wieder bei allen sibirischen und indianischen Völkern finden, natürlich in anderer Prägung. Doch der Feuertempel, den wir bei Asfahan besichtigten, liegt auf der höchsten Erhebung, einem völlig trockenen und in der Mittagshitze schier unerträglich heißen Hügel, das Feuer ist dort zu spüren. Vielleicht ähnelten die Riten auch den Sonnentänzen, wie sie manche indianischen Stämme heute wieder durchführen: Die Sonnentänzer tanzen 5 Tage ohne zu trinken und ohne zu essen von Sonnenauf – bis Sonnenuntergang in der Wüste. (Die Arier Gottes, GEO Heft 9/1978)

Die indischen Zoroastier bezeichnen sich als Parsen (Perser) und nur ein geborener Parse kann diesem Glauben angehören. Die Kinder aus Mischehen gelten als unrein und werden nicht zugelassen. Der religiöse Kult verbindet sich hier mit einem Rassenkult, der so weit geht, das behauptet wird, ein Parse erkennt einen anderen auf einen Blick im dichtesten Gewimmel. Parsen sind Arier, fast alle Iraner sind Arier und der Schah war auch König der Arier. Im Iran wurden wir oft gefragt: Woher kommt ihr? Als sie hörten „Deutsche“, kam sehr oft als Antwort: „You are Arian. We are the same race.“ Alle reinrassigen Arier können dem zoroastrischen Glauben beitreten, theoretisch auch wir.

Bei der Rückkehr vom Feuertempel fuhren wir ins Armenierviertel, suchten nach der größten der 17 armenischen Kirchen, die es hier gibt, doch die war geschlossen. In eine der kleineren (Jolfa) führte uns der Sohn des Priesters, selbst auch wieder angehender Priester. Auch hier ist genealogischer Stolz zu hören: „Wir waren die erste christliche Gemeinde!“ Heute sind sie eine Minderheit, seit Jahrhunderten verfolgt, zu Anfang dieses Jahrhunderts nahezu ausgelöscht in einem Genozid und verstreut in alle Welt.

Der Gang durch das armenische Viertel zeigt hinter 4 m hohen Mauern Reichtum, mehr als in anderen Vierteln, doch die Häuser erscheinen wehrhaft: Fenster sind weiter oben, die Mauerkronen noch durch spitze Gitter gekrönt, schwere doppelflügelige Stahltore verwehren den Eingang, die Garage ist im Erdgeschoß und durch Gitter gesichert. Die Mauer um die Hauptkirche ist etwa 6 m hoch. Der Sohn des Priesters erzählt von Verpflegung und daß gerade in diesen Tagen eine Kommission der UN eigens in dieser Angelegenheit nach Teheran gekommen ist. Viele sind nach Amerika ausgewandert, auch sein Bruder. Und er habe gehört, daß armenische Flüchtlinge in Deutschland nicht willkommen seien. Dazu kann ich nichts sagen, aber ich frage ihn, warum sie nicht nach Armenien gehen. Immerhin gibt es nun seit Jahrhunderten erstmals wieder einen armenischen Staat. Doch er antwortet nur kurz, da könne man nicht leben.

Auf dem Rückweg zum Auto kommen wir an einem noch nicht fertiggestellten Neubau vorbei, der aussieht wie eine Burg, mit Türmen und Zinnen. Abends erzähle ich meine Beobachtungen Hossain, ohne zu werten, doch ich erhalte keine Antwort – ein wunder Punkt?

Picknick in Esfahan

Sobald es dunkelt, ziehen die Bürger der Stadt aus ihren Häusern heraus, schon der Emam Khomeine Square, früher Königsplatz, ist dann voll, insbesondere die Rasenanlagen rund um die Springbrunnen sind voll belegt. An den Brücken sah es nicht anders aus: Kilometerlang standen die Autos, teilweise bereits in zweiter Reihe und Familienväter packten aus, was man für ein Picknick eben braucht: Teppiche, Kühltaschen, Geschirr, Kocher für den Tee usw. Hier spielt sich jeden Abend mindestens so viel ab, wie an schönen Sommerabenden in den Kölner Straßencafes, nur viel dichter. Hier ist eine lebendige städtische Kultur zu beobachten, die natürlich auch völlig ohne Alkohol auskommt.

Um diese Jahreszeit führt der Fluß kaum Wasser, doch ein kleiner Staudamm und Wehre unter den Brücken erzeugen den Eindruck eines strömenden Flusses, dabei kann man ihn durchwaten ohne daß die Knie naß werden. Durch die Schmelzwasser im Frühjahr ist er jedoch sehr breit und die Brücken gewinnen dadurch ihre besondere Form: nicht sehr hoch (weil es keinen Schiffsverkehr gibt), aber sehr lang. Die meisten Brücken sind für den Autoverkehr gesperrt und dienen nur zum flanieren. Jede sieht anders aus, doch herrscht die Bogenarchitektur vor. Es mögen 2–3 Dutzend Steinbögen sein, die jeweils ein Fenster zum Fluß bieten und trotz der Menschenmassen jeweils einen privaten Raum öffnen, besetzt sind von einzelnen oder von Gruppen. Unterhalb des Straßenniveaus bildet eine zweite Bogenreihe die Basis, hier sind Teehäuser untergebracht und über 3,4 Stufen erreicht man das Wasser. Viele Menschen sitzen auf den Stufen, über die der Fluß plätschert und gurgelt, lauschen versunken der Melodie des Wassers, ohne sich von den lachenden und singenden Gruppen hinter ihnen stören zu lassen – ein ungewohntes Bild. Während die oberen Bögen alle Beleuchtet sind, finden sich unten auch dunkle Bereiche. Das bringt in der Nacht nicht nur vielfältige Licht – Schatten – Effekte sondern zieht unglücklich verliebte Männer an: in den dunklen Bögen singen und schreien sie ihre Wünsche und Gefühle hinaus aufs Wasser, sind selbst nicht zu erkennen in der Dunkelheit. Diese Laute kommen von tief unten und haben sicher auch therapeutischen Effekt. Außen stehen Menschentrauben, hören zu und nehmen teil.

Wieder einmal staune ich über die Kunst der Iraner, öffentlich in einem privatem Raum zu agieren, denn auch die auf den Stufen sitzenden und Meditierenden haben ihre Privatsphäre unsichtbar aufgebaut, werden respektiert und bleiben ungestört. Mir scheint. Im Iran gibt es einen respektvolleren Umgang mit der Natur, den Elementen als sonstwo in der Region. Was würde wohl ein Iraner sagen, der den vollgeschissenen Rasen im Kölner Volksgarten sähe? So etwas gibt es hier nicht. Hier werden Rasenflächen gewässert und gepflegt und die wenigen Hunde verjagt.

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wiki/1999_iran.txt · Zuletzt geändert: 2022/01/20 04:10 von norbert

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