====== Konditionen des Reisens ====== »Viele Fächer werden an unseren Schulen gelehrt. Aber eines der wichtigsten fehlt: die Reisekunde.« John Steinbeck (1902-1968) ==== Die äußere Form der individuellen Reise ==== Eine individuelle Reise erscheint äußerlich als ziemlich simpel: * Jemand bricht auf: [[wiki:aufbruch|Aufbruch]] mit [[wiki:reisegepaeck|Reisegepäck]], [[wiki:wissen|Informationen]], [[wiki:dokumente|Dokumenten]], [[wiki:geldbeutel|Geld]]. * Jemand ist unterwegs: [[wiki:unterwegs-sein|Unterwegs-Sein]] im [[wiki:fahrzeugart|Fahrzeug]] auf [[wiki:strasse|Straßen]], [[wiki:pisten|Pisten]], [[wiki:routen|Routen]]. * Jemand kommt zurück: [[wiki:heimkehr|Rückkehr]]. Touristen sind eher leicht zu erkennen, da sie eher selten alleine erscheinen und meist dort sind, wo auch die anderen hingeführt werden. Ihre [[wiki:reisekleidung|Kleidung]] ist in der Regel der Auszeit angepasst und soll mehr oder weniger deutlich allen anderen signalisieren, dass man sich in der Freizeit befindet: Hawaiihemd, Badekleidung, Safari-Look, unnatürliche Bräune oder Sonnenbrand. Der Urlauber will, dass seine Umgebung sein **[[wiki:motive_des_reisens|Motive]]** respektiert.\\ Reisende versuchen dagegen in der Regel nicht aufzufallen, weil dies in der [[wiki:fremdes|Fremde]] oft zu lästigen und manchmal riskanten Begegnungen führt. Das ist nicht einfach, weil das Reisegepäck mitgeführt wird oder weil das Fahrzeug den Reisecharakter erkennen lässt. Das [[wiki:unterwegs-sein|Unterwegs-Sein]] wird zwar vom Reisenden selbst empfunden, ist aber von außen nicht wahrnehmbar, denn ein orientierungsloser Fremder muss kein Reisender sein und jemand, der beruflich unterwegs ist (Stewardeß, Pilot), reist auch nicht.\\ Nur in manchen Situationen deuten vereinzelt Attribute auf Reisende hin: er trägt erkennbar [[wiki:reisegepaeck|Reisegepäck]] mit sich (z.B. einen [[wiki:rucksack|Rucksack]]), hat einen [[wiki:reisefuehrer|Reiseführer]] in der Hand, fährt ein [[wiki:wohnmobile|Wohnmobil]], spricht eine andere [[wiki:sprachen|Sprache]], usw. ==== Die Innenwelt beim Reisen ==== In der inneren Welt geht es weit weniger übersichtlich zu. Dort stürzen wie in einem Kaleidoskop übereinander: Angst, Furcht vor dem Unbekannten, sehnsüchtige Träumerei, Lust auf das Unvorstellbare, Neugier aufs Andere, Phantasie, Erfahrung der [[wiki:welt|Welt]] – im besten Fall sind dies Schritte auf dem Weg zur //Eroberung des Nutzlosen//. ==== Die vergebliche Gestaltung der Reise ==== Der [[wiki:reisende|Reisende]] versucht sein Reisevorhaben zu gestalten, durch den Willen zur Tat, durch Wissen und Tapferkeit. Mit oder gegen ihn ist er dabei Glück, Wunder und Zufall unterworfen. Die so geformte Reise ist einmalig und nicht wiederholbar, ist das Ergebnis einer Lebensphase und wird selbst zu einer solchen mit Folgen für die darauffolgende Lebensphase. Diese Erfahrung machte auch ''John Steinbeck'' (1902-1968) auf seiner Suche nach Amerika gemeinsam mit Charly, seinem Hund, im Reisemobil //Rosinante//: //»Nach jahrelangem Ringen stellen wir fest, daß wir eine Reise nicht in der Hand haben. Sie hat uns in der Hand. ... Nur wenn der waschechte Vagabund sich dessen bewußt ist, kann er getrost aufbrechen. Erst dann ist er gegen alle Kümmernisse gefeit.«// ((John Steinbeck: Meine Reise mit Charly. Auf der Suche nach Amerika, übersetzt von Iris und Rolf Hellmut Foerster, Diana, Zürich 1963)) ==== Die Rekonstruktion der Reise ==== Mit der Rückkehr beginnt die [[wiki:reisen|Reise]] auf einer höheren Ebene; sie wird entindividualisiert und Teil der Gemeinschaft, in die jemand zurückgekehrt ist. Dabei wird vereinfacht und rechtfertigt, beschönigt und idealisiert – die Reise wird rekonstruiert und wird zum [[wiki:abenteuer|Abenteuer]], zur Lustreise, zur Gentlemantour, zur Eroberung, zur [[wiki:flucht|Flucht]], [[wiki:fussreisen#Pilgerfahrten|Pilgerreise]] oder [[wiki:walz|Walz]] und vielen weiteren Formen. Die Diskussion dreht sich nun um Leerbegriffe wie [[wiki:freiheit|Freiheit]], [[wiki:sicherheit|Sicherheit]], [[wiki:ehre|Ehre]] und Ruhm, [[wiki:schicksal|Schicksal]] und Fügung, [[wiki:glaube|Glaube]] und Visionen, die die Leistung des Reisenden gesellschaftlich überhöhen, ob er das will oder nicht. Dem Reisenden wird ein [[wiki:stereotyp|Stereotyp]] angehaftet, er wird zum [[wiki:held|Helden]], Ritter oder [[wiki:erforscher|Entdecker]], zum [[wiki:globetrotter|Globetrotter]], [[wiki:tourist|Touristen]] oder Traveller. ---- ''Peter Handke'': //Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt// edition suhrkamp 307, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1969; 150 S. Handkes Betrachtungen weisen die Muster eines »Reise- und Abenteuerbuches« (von ''Hellmuth Karasek'' [[https://www.zeit.de/1969/14/in-der-zwangsjacke-der-sprache/komplettansicht|rezensiert]] in Die ZEIT) auf, ohne von Reisen zu handeln. Ins Sprachliche gewendet erlebt der Autor, indem er als Fremder seine gewohnte Umwelt reflektiert, das Staunen des Reisenden mit den sich daraus ergebenden Abenteuern des Alltags. //Fitzcarraldo// von ''Werner Herzog'', BRD 1982 mit ''Klaus Kinski'' und ''Claudia Cardinale'' und der Musik von //Popol Vuh//, [[https://www.zeit.de/1982/10/eroberer-der-nutzlosen|rezensiert]] in Die Zeit. Herzog dreht nicht nur einen Film über das Vorhaben eines Mannes, ein großes Schiff über einen Berg zu schleppen, sondern das Vorhaben wird wirklich ausgeführt. Anders als üblich wird also nicht die Wirklichkeit verfilmt, sondern durch den Film entsteht Wirklichkeit.