Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


wiki:fussreisen

Unterschiede

Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen der Seite angezeigt.

Link zu der Vergleichsansicht

Beide Seiten, vorherige ÜberarbeitungVorherige Überarbeitung
Nächste Überarbeitung
Vorherige Überarbeitung
Nächste ÜberarbeitungBeide Seiten, nächste Überarbeitung
wiki:fussreisen [2023/05/26 15:07] norbertwiki:fussreisen [2023/07/29 13:03] norbert
Zeile 105: Zeile 105:
 Die Hauptmahlzeit war üblicherweise abends (wenn es denn etwas gab) - das französische Diner bedeutete ursprünglich „entfasten“: zum Abend das erste Essen des Tages einnehmen. Diese Tageseinteilung findet man noch heute bei Nomaden in arabischen und afrikanischen Ländern. Selbst Brot war nicht immer selbstverständlich, schließlich setzt es einen Backofen und Brennmaterial voraus. Üblich war roher oder gekochter Getreidebrei. Das Wort „Kumpan“ entstand aus „conpagn“: Der Begleiter, mit dem ich mein Brot teile.\\  Die Hauptmahlzeit war üblicherweise abends (wenn es denn etwas gab) - das französische Diner bedeutete ursprünglich „entfasten“: zum Abend das erste Essen des Tages einnehmen. Diese Tageseinteilung findet man noch heute bei Nomaden in arabischen und afrikanischen Ländern. Selbst Brot war nicht immer selbstverständlich, schließlich setzt es einen Backofen und Brennmaterial voraus. Üblich war roher oder gekochter Getreidebrei. Das Wort „Kumpan“ entstand aus „conpagn“: Der Begleiter, mit dem ich mein Brot teile.\\ 
 Ein Fußwanderer geht kaum langsamer als drei, kaum schneller als sieben Stundenkilometer. Eine Tagesstrecke von 25 Kilometern ist unter normalen Umständen problemlos, bei guten Wetter- und Straßenverhältnissen, bei entsprechender Kondition sind auch 70 Tageskilometer zu schaffen. Schlamm, Regen, Schnee, Eis verzögern das Tempo ebenso wie Flußüberquerungen, Täler, Berge, Unterholz, Sandboden. Orientierungspausen und Umwege kosten viel Zeit, Unterkunft, [[wiki:proviant|Proviant]], Trinken müssen organisiert, Schuhe geflickt werden. Erholungstage sind nötig, Krankheiten fesseln ans Bett, Zöllner machen Schwierigkeiten .... Der Probleme gibt es reichlich. Eine Strecke von 1500 Kilometern bedurfte etwa zweier Monate für einen Fußreisenden.\\  Ein Fußwanderer geht kaum langsamer als drei, kaum schneller als sieben Stundenkilometer. Eine Tagesstrecke von 25 Kilometern ist unter normalen Umständen problemlos, bei guten Wetter- und Straßenverhältnissen, bei entsprechender Kondition sind auch 70 Tageskilometer zu schaffen. Schlamm, Regen, Schnee, Eis verzögern das Tempo ebenso wie Flußüberquerungen, Täler, Berge, Unterholz, Sandboden. Orientierungspausen und Umwege kosten viel Zeit, Unterkunft, [[wiki:proviant|Proviant]], Trinken müssen organisiert, Schuhe geflickt werden. Erholungstage sind nötig, Krankheiten fesseln ans Bett, Zöllner machen Schwierigkeiten .... Der Probleme gibt es reichlich. Eine Strecke von 1500 Kilometern bedurfte etwa zweier Monate für einen Fußreisenden.\\ 
-Jahrzehntausende lang gab es keine Alternativen. Ein erstes Verkehrsmittel war das Tragetuch für die Kinder, das zweite die nachgezogene Astgabel, beladen mit Lasten, Alten, Schwachen. Daraus mag die getragene Sänfte entstanden sein. Das Tragen von „Häuptlingen“ verlangt Hierarchien, die es unter Nomaden kaum in solchem Maße gab. Wo immer möglich, folgten frühe Routen den Flüssen. Wenn Sümpfe, Überschwemmungsgebiete und Auen das Verlassen des Flußlaufs erforderten, könnten treibende Baumstämme, Flöße und Einbäume (Dug-outs) flußabwärts das Reisen erleichtert haben, waren aber mit hohem [[wiki:risiko|Risiko]] verbunden: Wo kam die nächste Stromschnelle? Wer konnte schwimmen im Fall des Kenterns? Zur Flußüberquerung waren sie sicher ein geeignetes Mittel. Auch der Beruf des Fährmanns dürfte zu den ersten Berufen gezählt haben, wurde vielleicht noch vor den Zeiten der Seßhaftwerdung auf den Routen der Nomaden von Ausgestoßenen ausgeübt und erlangte mythologische Bedeutung ([[wiki:christophorus|Christophorus]]). Das Reisen mit dem Esel gibt es seit dem dritten Jahrtausend vor Christus, das Kamel wurde erst tausend Jahre später genutzt, zu Pferd ritt man seit etwa 1000 v. Chr. – weil es Vorteile im Kampf bot. Der Mythos des Kentauren entstand. Erste Streit- und Reisewagen tauchten in der Antike auf, erforderten aber geeignete Straßen und eine gute Infrastruktur, die im [[wiki:reisegenerationen#Der Blick zurück: Das Mittelalter als Epoche| Mittelalter]] zusehends verfiel. Erst im [[wiki:reisegenerationen#Seit dem 11. Jahrhundert|11. Jahrhundert]] n. Chr. dienten Wagen wieder dem Reisen und dann zunächst für Verbrecher, für Kranke, Frauen, Alte.\\ +Jahrzehntausende lang gab es keine Alternativen. Ein erstes Verkehrsmittel war das Tragetuch für die Kinder, das zweite die nachgezogene Astgabel, beladen mit Lasten, Alten, Schwachen. Daraus mag die getragene Sänfte entstanden sein. Das Tragen von „Häuptlingen“ verlangt Hierarchien, die es unter Nomaden kaum in solchem Maße gab. Wo immer möglich, folgten frühe Routen den Flüssen. Wenn Sümpfe, Überschwemmungsgebiete und Auen das Verlassen des Flußlaufs erforderten, könnten treibende Baumstämme, Flöße und Einbäume (Dug-outs) flußabwärts das Reisen erleichtert haben, waren aber mit hohem [[wiki:risiko|Risiko]] verbunden: Wo kam die nächste Stromschnelle? Wer konnte schwimmen im Fall des Kenterns? Zur Flußüberquerung waren sie sicher ein geeignetes Mittel. Auch der Beruf des Fährmanns dürfte zu den ersten Berufen gezählt haben, wurde vielleicht noch vor den Zeiten der Seßhaftwerdung auf den Routen der Nomaden von Ausgestoßenen ausgeübt und erlangte mythologische Bedeutung ([[wiki:christophorus|Christophorus]]). Das Reisen mit dem Esel gibt es seit dem dritten Jahrtausend vor Christus, das Kamel wurde erst tausend Jahre später genutzt, zu Pferd ritt man seit etwa 1000 v. Chr. – weil es Vorteile im Kampf bot. Der Mythos des Kentauren entstand. Erste Streit- und Reisewagen tauchten in der Antike auf, erforderten aber geeignete Straßen und eine gute Infrastruktur, die im [[wiki:reisegenerationen#Der Blick zurück: Das Mittelalter als Epoche| Mittelalter]] zusehends verfiel. Erst im [[wiki:reisegenerationen#Seit dem 11. Jahrhundert|11. Jahrhundert]] n. Chr. dienten Wagen wieder dem Reisen und dann zunächst für Verbrecher, für Kranke, [[wiki:frauen_unterwegs|Frauen]], Alte.\\ 
    
 ==== Auf der Walz ==== ==== Auf der Walz ====
Zeile 221: Zeile 221:
  
 Die **Freiheit des Gehens** in der Wüste entdeckte und beschrieb ''Otl Aicher'' in schönen Bildern.  Die **Freiheit des Gehens** in der Wüste entdeckte und beschrieb ''Otl Aicher'' in schönen Bildern. 
-Weit über 200 Jahre früher fand der aufklärende Denker ''Jean-Jacques Rousseau'', Genfer und Franzose, in der Natur der Schweizer Bergwelt **Weitblick und Raum für freies Denken**, für seinen Traum vom erfüllten Leben. Um 1750 erwanderte er sich die Schweiz als vielleicht erster überzeugter **Fußwanderer**. *[[wiki:klima|Klima]] und Luft rühmend, Bergwelt und Älpler idealisierend entwarf er 1761 in seiner »La Nouvelle Héloïse« Visionen eines Arkadiens, die nachfolgende Generationen begierig aufnahmen. Die Schweiz mit ihren mühselig zu überschreitenden Pässen, bislang nur Durchreiseland, wurde zum Ziel der Bildungsbürger. Hirten erschienen sorglos, Alpen wurden zu saftigen Matten, Felshänge scheinen schützend bei ''Caspar David Friedrich'', vereint mit malerischen Sturzbächen. Rousseaus »Retournons à la nature!« hallte bis tief in unser Jahrhundert. Wilde Wald- und Berglandschaften erhielten nun romantisierende Beinamen, die Sächsische Schweiz wurde als eine der ersten getauft. Naturgenuß, die Schweiz als Symbol für Freiheit und das Wandern als klassenlose Reiseart – das waren Ideen, die in das Saeculum der Revolutionen paßten. Fußreisen waren ein Affront gegen ständische Überzeugungen, denen rote Wangen bäurisch schienen, weiße Haut als Zeichen besseren Standes galten, frische Luft als schädlich galt und denen es unschicklich war, sich körperlich zu betätigen.+Weit über 200 Jahre früher fand der aufklärende Denker ''Jean-Jacques Rousseau'', Genfer und Franzose, in der Natur der Schweizer [[wiki:bergwelt|Bergwelt]] **Weitblick und Raum für freies Denken**, für seinen Traum vom erfüllten Leben. Um 1750 erwanderte er sich die Schweiz als vielleicht erster überzeugter **Fußwanderer**. *[[wiki:klima|Klima]] und Luft rühmend, Bergwelt und Älpler idealisierend entwarf er 1761 in seiner »La Nouvelle Héloïse« Visionen eines Arkadiens, die nachfolgende Generationen begierig aufnahmen. Die Schweiz mit ihren mühselig zu überschreitenden Pässen, bislang nur Durchreiseland, wurde zum Ziel der Bildungsbürger. Hirten erschienen sorglos, Alpen wurden zu saftigen Matten, Felshänge scheinen schützend bei ''Caspar David Friedrich'', vereint mit malerischen Sturzbächen. Rousseaus »Retournons à la nature!« hallte bis tief in unser Jahrhundert. Wilde Wald- und Berglandschaften erhielten nun romantisierende Beinamen, die Sächsische Schweiz wurde als eine der ersten getauft. Naturgenuß, die Schweiz als Symbol für Freiheit und das Wandern als klassenlose Reiseart – das waren Ideen, die in das Saeculum der Revolutionen paßten. Fußreisen waren ein Affront gegen ständische Überzeugungen, denen rote Wangen bäurisch schienen, weiße Haut als Zeichen besseren Standes galten, frische Luft als schädlich galt und denen es unschicklich war, sich körperlich zu betätigen.
  
 Der gesellschaftskritische Publizist und Pädagoge ''Afsprung'' wanderte 1782 durch die Schweiz und schrieb einen radikaldemokratischen Reisebericht, ihm folgten andere Poeten, wie ''Christoph Meiners'', 1784, ''Gerhard Anton von Halem'', 1790, ''Johann Gottfried Ebel'', 1792, ''Friedrich Leopold von Stolberg'', 1794, ''Johann Wolfgang von Goethe'', 1779 und 1797. Der Reisebericht wandelte sich vom politischen zum literarischen Medium, machte die Fußreise zum Topos: so 1797 im »Gestiefelten Kater« von ''Ludwig Tieck'', 1809 in den //Wahlverwandtschaften// Goethes, 1826 im //Taugenichts// von ''Eichendorff'', 1835 im //Lumpazivagabundus// ''Johann Nestroys'' und nicht zuletzt in den //Müllerliedern// ''Schuberts''. Der gesellschaftskritische Publizist und Pädagoge ''Afsprung'' wanderte 1782 durch die Schweiz und schrieb einen radikaldemokratischen Reisebericht, ihm folgten andere Poeten, wie ''Christoph Meiners'', 1784, ''Gerhard Anton von Halem'', 1790, ''Johann Gottfried Ebel'', 1792, ''Friedrich Leopold von Stolberg'', 1794, ''Johann Wolfgang von Goethe'', 1779 und 1797. Der Reisebericht wandelte sich vom politischen zum literarischen Medium, machte die Fußreise zum Topos: so 1797 im »Gestiefelten Kater« von ''Ludwig Tieck'', 1809 in den //Wahlverwandtschaften// Goethes, 1826 im //Taugenichts// von ''Eichendorff'', 1835 im //Lumpazivagabundus// ''Johann Nestroys'' und nicht zuletzt in den //Müllerliedern// ''Schuberts''.
wiki/fussreisen.txt · Zuletzt geändert: 2024/05/02 03:03 von norbert

Donate Powered by PHP Valid HTML5 Valid CSS Driven by DokuWiki