wiki:fremdem_begegnen
Unterschiede
Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen der Seite angezeigt.
Beide Seiten, vorherige ÜberarbeitungVorherige Überarbeitung | |||
wiki:fremdem_begegnen [2025/05/14 08:17] – gelöscht - Externe Bearbeitung (Unknown date) 127.0.0.1 | wiki:fremdem_begegnen [2025/05/14 08:17] (aktuell) – ↷ Seitename wurde von wiki:staunen_fremdheit_neues_neugier auf wiki:fremdem_begegnen geändert norbert | ||
---|---|---|---|
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
+ | ====== Abfahren: Die Fremdheit des Reisens ====== | ||
+ | |||
+ | → [[wiki: | ||
+ | '' | ||
+ | |||
+ | Wir tragen mit uns das Wunderbare, | ||
+ | das wir außer uns suchen: | ||
+ | es liegen ganz Afrika und alle seine Wunder in uns. | ||
+ | Sir Thomas Brown | ||
+ | Der Fremde, Die Fremde, Das Fremde … das Phänomen der darin enthaltenen Fremdheit ist [[wiki: | ||
+ | Anders als Exilanten ziehen wir immer wieder in andere Fernen; anders als etwa der Bundeswehrsoldat am Hindukusch sind wir selbstbestimmt unterwegs; anders als Migranten haben wir eine Heimat, in die wir zurückkehren, | ||
+ | |||
+ | ===== Der Reisende als Staunender ===== | ||
+ | »Der Anblick ist das, das Erlebnis noch nicht. | ||
+ | Man gleicht einem Film, der belichtet wird; | ||
+ | entwickeln wird es die Erinnerung.« | ||
+ | Max Frisch (1911 - 1991) über `Reisen´, | ||
+ | in: Stichworte: Ausgesucht von Uwe Johnson. | ||
+ | Frankfurt (Main) 1975: Suhrkamp. 251 Seiten | ||
+ | ==== Das Neue ==== | ||
+ | Dass nichts älter sei als die Zeitung von gestern klingt uns selbstverständlich, | ||
+ | Vielleicht, weil Reisende selber gleich mehrfach das Neue in der [[wiki: | ||
+ | |||
+ | ==== Die Neugier ==== | ||
+ | //Der wahre Reisende weiß nicht, wohin die Reise geht, der wahre Abenteurer weiß nicht, was er erleben wird. Seine Reisen führen ihn nicht eher in eine Richtung als in eine andere. Seine Neugierde ist nicht auf einen bestimmten Punkt gerichtet.// | ||
+ | Alles, was vom Nichtsein ins Sein tritt, wird bereits in der griechischen Antike //poiesis// genannt, Anlass zum [[wiki: | ||
+ | Doch [[wiki: | ||
+ | |||
+ | //»Und da gehen die Menschen hin und bewundern hohe Berge und weite Meeresfluten und mächtig daherrauschende Ströme und den Ozean und den Lauf der Gestirne, vergessen sich aber selbst dadurch.«// | ||
+ | Zappen Globetrotter durch die Welt? Wer sich ständig bewegt erscheint anderen als flüchtig, wandelbar, instabil, schillernd, nicht zu fassen, ist vor-läufig. '' | ||
+ | Das Hier und Jetzt – der Augenblick, der verweilen soll – kämpft mit dem Dort und Demnächst – dem zerstreuenden Unverweilen – das die Neugier auszeichnet. Im »sich ausrichtenden Entdecken von Gegend« erschließt sich das Dasein den Raum (('' | ||
+ | Ein [[wiki: | ||
+ | Wer fähig ist zu staunen, die [[wiki: | ||
+ | |||
+ | ==== Der Genuss erfüllter Gegenwart ==== | ||
+ | Situationen, | ||
+ | Überraschung, | ||
+ | |||
+ | Diese Augenblicke stellen sich eher nicht ein beim Weg zur Arbeit oder beim Besuch des Nachbarn, beim Spaziergang oder Schlendern. Es bedarf der Reise im ursprünglichen Wortsinne: ein sich-erheben gegen Widerstände, | ||
+ | |||
+ | ==== Das persönlich Fremde ==== | ||
+ | Man geht freilich nicht in die Fremde, um sich der Heimat zu entfremden, aber einen vernünftigen Sinn hat das Reisen doch nur insofern, als es von der [[wiki: | ||
+ | Manche meinen, das Fremde stünde im Gegensatz zum Eigenen. Dann müßte alles, was anders ist als man selbst, fremd sein. Ein Gedanke, der Globetrottern fremd erscheinen muß. Schließlich neigen Reisende dazu, alles aufzusuchen, | ||
+ | Das Fremde erscheint vielmehr an der Grenze zwischen dem Eigenen und dem Anderen, zwischen sich Selbst und der Welt dort draußen, meist dann, wenn der Raum zwischen nah und fern verändert wahrgenommen wird ((Wieder drängt sich der Bezug zur Wahrnehmung von Raum, Welt und Selbst auf. Das wird auch an dieser Stelle nicht weiter verfolgt)). Und weil das Eigene und das Andere für jeden anders ist, läßt sich das Fremde nicht objektiv erkennen. Dem einen erscheint fremd, was dem anderen vertraut ist. Das Fremde ist also ein subjektives Befinden, das ein Bündel von Gefühlen auslöst, besonders heftig bei der ersten, unvermittelten, | ||
+ | |||
+ | Hierin zeigt sich das Besondere der Globetrotter: | ||
+ | // | ||
+ | Ganz so schwarz-weiß sind die Unterschiede natürlich nicht. Assimilatives Reisen strengt an und so kennt auch jeder Globetrotter die kleinen Fluchten: Rückzug ins Reisemobil, die deutsche Bäckerei in Bangkok, die Übernachtung im Best Western, den Strandurlaub zum Ende der Reise … gesteht man sich augenzwinkernd zu, genießt den Stilbruch. Auf der anderen Seite erhält der Studienreisende seinen freien Nachmittag ohne Gruppenzwang und der Cluburlauber bestellt sich ein Taxi in die Stadt.\\ | ||
+ | Doch sie alle – Reisende, Urlauber, [[wiki: | ||
+ | Bei den meisten selbstbestimmt Reisenden mündet assimilatives Reisen jedoch nicht in Assimilation oder Auswanderung, | ||
+ | In gewisser Weise eignet sich ein entdeckendes, | ||
+ | |||
+ | ===== Der Reisende als Fremder in der Ferne ===== | ||
+ | |||
+ | „Abenteurer, | ||
+ | Quer in die Gefahren\\ | ||
+ | Wo ich vor tausend Jahren\\ | ||
+ | Im Traume gewesen bin.\\ | ||
+ | Ich will mich treiben lassen\\ | ||
+ | In Welten, die nur ein Fremder sieht.\\ | ||
+ | Ich möchte erkämpfen, erfassen, | ||
+ | Erleben, was anders geschieht.\\ | ||
+ | Ein Glück ist niemals erreicht.\\ | ||
+ | Mich lockt ein fernstes Gefunkel, | ||
+ | Mich lockt ein raunendes Dunkel\\ | ||
+ | Ins nebelhafte Vielleicht.\\ | ||
+ | Was ich zuvor besessen, | ||
+ | Was ich zuvor gewußt, | ||
+ | Das will ich verlieren, vergessen. -\\ | ||
+ | Ich reise durch meine eigene Brust.\\ | ||
+ | (('' | ||
+ | |||
+ | Der fremde Reisende wird in der Ferne bestaunt, schließlich ist er dort ein Fremder, er weckt die Neugier bei den Anderen, die nicht reisen. Unbeabsichtigt bringt er das Neue dorthin, weckt Sehnsüchte, | ||
+ | Dürfen Globetrotter die Welt auf diese Art und Weise verändern? Diese Frage wurde in den achtziger Jahren vehement diskutiert. Fragen, die heute in Zeiten weltweiter Verkehrs-, Handels- und Informationsströme sinnlos erscheinen. Die sich in gemächlichem Trott mit viel Muße in der Welt frei bewegenden Globetrotter wurden links, rechts, oben, unten überholt von Globalisierung, | ||
+ | Durch die unmittelbare Begegnung mit der Welt des Anderen ist das persönliche Erlebnis des Fremden unvermeidlich. Reisende machen die [[wiki: | ||
+ | |||
+ | //»Der übers Meer fährt, sagt zwar Horaz, verändert nur den Himmelsstrich, | ||
+ | |||
+ | Sofern Reisende diese Erfahrungen verarbeiten – etwa als Tagebuch, Reisebericht, | ||
+ | |||
+ | ==== Die Metamorphose des Fremden ==== | ||
+ | |||
+ | Der Reisende ist natürlich in der Ferne ein Fremder. Aber als Fremder kann er in unterschiedlichen Situationen in verschiedene Rollen geraten. Globetrotter, | ||
+ | |||
+ | ==== Der Fremde als Barbar ==== | ||
+ | |||
+ | Wenn uns »etwas spanisch vorkommt« dann sind es meist »böhmische Dörfer«. Dagegen spricht man im Tschechischen von „spanischen Dörfern“ (španělské věsnice), während den Spaniern eher chinesisch zumute ist: »es como si me hablaran en chino«. \\ | ||
+ | Was man nicht versteht, kommt von weit her, etwa aus der Walachei ((Walachen bezeichnet romanischsprachige Volksgruppen in Südosteuropa. Die Bezeichnung kommt wohl aus dem Germanischen, | ||
+ | Ein //Barbar// war im antiken Griechenland jemand, der kaum Griechisch sprach. Das Wort fand Eingang in fast alle europäischen Sprachen. Dabei ist es so alt, daß es sich auch im Sanskrit findet (barbarāh), | ||
+ | Die Anderen ((Die Deutschen im Tschechischen, | ||
+ | |||
+ | ==== Der Fremde als Feind ==== | ||
+ | |||
+ | Bei der Ankunft ist der Fremde nicht einmal eine Person, eher eine Unperson. Es gibt keinerlei Beziehung zwischen ihm und den Ansässigen: | ||
+ | Für vorstaatliche Gesellschaften ist vielfach überliefert, | ||
+ | |||
+ | ==== Der Fremde als Gast ==== | ||
+ | |||
+ | Medea: Töten willst du, den Fremden, den Gast? | ||
+ | Aietes: Gast? | ||
+ | Hab' ich ihn geladen in mein Haus? | ||
+ | Ihm beim Eintritt Brot und Salz gereicht | ||
+ | Und geheißen sitzen auf meinem Stuhl? | ||
+ | Ich hab' ihm nicht Gastrecht geboten, | ||
+ | Er nahm sich' | ||
+ | (('' | ||
+ | |||
+ | Der Fremde, der mit einem Geschenk in eine Gemeinschaft eintritt, wird bei vielen Völkern mißtrauisch betrachtet, denn weit verbreitet ist die Haltung, daß ein Geschenk durch ein Gegengeschenk beantwortet werden muß (('' | ||
+ | Der Grundsatz, den Fremden als Feind zu betrachten und zu behandeln, wurde geschichtlich erst im Nachhinein durch das Gastrecht gemildert. Das Gastrecht erwächst aus der persönlichen Begegnung und gilt begrenzt für Zelt, Haus, Wohnplatz. Der Gastgeber kann Gastrecht ((Z.B.: '' | ||
+ | Gast kann nur sein, wer zu gehen beabsichtigt. Viele [[wiki: | ||
+ | * '' | ||
+ | |||
+ | ==== Der Fremde als Eindringling ==== | ||
+ | |||
+ | Im Jahre 802 verbot '' | ||
+ | Das der persönlichen Ebene entstammende Gastrecht ging mit zunehmender staatlicher Organisation, | ||
+ | Jeder, der sich durch solche Beziehungen in seiner Heimat beengt fühlt, empfindet in dieser Situation eine unendliche *[[wiki: | ||
+ | In jedem Fall bewegt sich der Reisende in einer Situation, in die er als Tourist innerhalb geschützter touristischer Systeme niemals gelangen kann. Reisende, die sich außerhalb touristischer Einrichtungen und Zonen bewegen, können dagegen leicht in solche Situationen geraten; Globetrotter gehen dieses Risiko eher ein. Beispielhaft schildert dies '' | ||
+ | |||
+ | ==== Der Fremde als Ausländer ==== | ||
+ | Der Fremde als [[wiki: | ||
+ | Der heutige Tourismus ist undenkbar ohne ein weltweit anerkanntes Fremdenrecht. Reisen lassen sich grenzüberschreitend nur organisieren und garantieren, | ||
+ | Historisch standen zuerst Kaufleute unter dem Schutz des Fremdenrechtes. Ausdrücklich galt ein Marktfrieden dort, wo gehandelt wurde. Der heutige Tourismus als finanzstärkste Wirtschaftsbranche der Welt muß eine Art Marktfrieden für touristische Stätten garantieren. Jedes Land, das daran teilhaben möchte, muß das heute übliche Fremdenrecht gewähren und sichern. Das setzt aber eine umfassende Kontrolle voraus. Der Tourist genießt also herrschaftlichen Schutz, kann daraus jedoch keine Rechte ableiten, die außerhalb seiner touristischen Zone wirken. Er bleibt ein Vorüberziehender, | ||
+ | |||
+ | ==== Der Fremde als Zuwanderer ==== | ||
+ | Wenn der Fremde so lange bleibt, bis Gastrecht und Fremdenrecht nicht mehr für ihn gelten, kann er zum Zuwanderer werden, zum Fremden, der das Angeeignete und vertraut Gewordene annehmen und dazugehören möchte. Er mag essen und sich kleiden wie die Einheimischen, | ||
+ | Fremdsein bedeutet, daß das Ferne nah ist ('' | ||
+ | //»Es ist hier also der Fremde nicht … gemeint, als der Wandernde, der heute kommt und morgen geht, sondern als der, der heute kommt und morgen bleibt - sozusagen der potentiell Wandernde, der, obgleich er nicht weitergezogen ist, die Gelöstheit des Kommens und Gehens nicht ganz überwunden hat.«// (('' | ||
+ | Auch Globetrotter kennen diesen Unterschied sehr gut. Die Reise als Urlaub, als erlaubte und befristete Zeit, dem Alltag zu entfliehen hat per se ein definiertes Ende. ((Siehe mehrfach in den bereits erschienenen Teilen der Reihe „Wir Globetrotter)) Das Reisen der Globetrotter hat in seiner Idealform dieses definierte Ende nicht. Globetrotter sind in der Fremde häufig potentielle Zuwanderer; denn für viele dient die Reise auch dem Zweck, sich nach einem anderen, vielleicht schöneren, Fleckchen Erde umzuschauen. | ||
+ | |||
+ | ===== Der Reisende als Fremder in der Heimat ===== | ||
+ | //»… ich habe keine Phantasie. Ich beneide meine Schriftstellerkollegen, | ||
+ | Kehrt der Reisende heim, ist er selbst ein wenig fremd geworden: Er staunt, zu Hause als Außenseiter, | ||
+ | |||
+ | Das kann Banales sein oder Besonderes: Wie man sich ohne Autan vor Mücken schützt, ein umwerfendes Pilaw-Rezept, | ||
+ | |||
+ | Der Austausch des Neuen und die Bewährung in der Fremde sind Werte, die bereits im [[wiki: | ||
+ | Die Persönlichkeit kann in der Fremde wachsen, doch erschwert ein zu hohes Maß an Eigenheiten eine Integration in der Heimat. Dann kann die Andersartigkeit zur Entwurzelung führen. Das Reisen zeigt seine Schattenseite, | ||
+ | |||
+ | ===== Das kulturell Fremde ===== | ||
+ | //»Asien fängt an der Elbe an«//, meinte '' | ||
+ | ==== Die Fremden bei sich, im Anderswo ==== | ||
+ | Selbst der fremdeste Fremde ist ja als Mensch immer noch einer von uns, denn: //»die Bewohner des Sirius sind uns nicht eigentlich fremd …, sondern sie existieren überhaupt nicht für uns, sie stehen jenseits von Fern und Nah«// (('' | ||
+ | |||
+ | ==== Die Fremden bei uns, im Hier und Jetzt ==== | ||
+ | |||
+ | Kulturelle Fremdheit kommt ohne eine persönliche Begegnung aus, was sofort erhellt, wenn man sich den Bau einer Moschee in einer deutschen Kleinstadt oder einem Dorf vorstellt. Nicht ein bestimmter Deutscher sorgt sich, sondern »die deutschen Einwohner«, | ||
+ | Kulturelle Vertrautheit und Zugehörigkeit erwächst in einer hinreichend großen Gruppe mit einer gemeinsamen Vergangenheit, | ||
+ | Je größer diese Gruppe erscheint, desto geringer werden die Gemeinsamkeiten: | ||
+ | |||
+ | → Das [[wiki: | ||
+ | |||
+ | ===== Verweise ===== | ||
+ | |||
+ | → [[wiki: | ||
+ | → [[wiki: | ||
+ | → [[wiki: | ||
+ | → [[wiki: | ||
+ | → [[wiki: | ||
+ | |||
+ | < | ||
+ | <img src=" | ||
+ | </ | ||