Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


wiki:freiheit

Unterschiede

Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen der Seite angezeigt.

Link zu der Vergleichsansicht

Beide Seiten, vorherige ÜberarbeitungVorherige Überarbeitung
Nächste Überarbeitung
Vorherige Überarbeitung
Nächste ÜberarbeitungBeide Seiten, nächste Überarbeitung
wiki:freiheit [2020/06/05 06:58] – Externe Bearbeitung 127.0.0.1wiki:freiheit [2020/09/25 13:30] norbert
Zeile 33: Zeile 33:
 Doch kann man tatsächlich Ziele wählen, sich zwischen Wegen entscheiden, ohne die Möglichkeiten zu kennen? Um zu wissen, wohin ich will, muß ich da nicht erst einmal wissen, was es gibt? Also hätte derjenige die größte Wahlfreiheit, der am meisten über die Welt weiß? Der die meisten Reiseführer gelesen, die meisten TV-Sendungen gesehen, die intensivste Internetrecherche betrieben hätte?\\  Doch kann man tatsächlich Ziele wählen, sich zwischen Wegen entscheiden, ohne die Möglichkeiten zu kennen? Um zu wissen, wohin ich will, muß ich da nicht erst einmal wissen, was es gibt? Also hätte derjenige die größte Wahlfreiheit, der am meisten über die Welt weiß? Der die meisten Reiseführer gelesen, die meisten TV-Sendungen gesehen, die intensivste Internetrecherche betrieben hätte?\\ 
 //»Man sieht nur, __was man weiß__«// – Damit warb der //DuMont Verlag// lange Zeit für seine anspruchsvollen Kultur-Reiseführer. Die ersten »Entdecker« hätten also nichts gesehen, wären also eher unfrei in ihrer Wahl gewesen, da sie nichts über ihr Ziel und die Wege dorthin wußten …?\\  //»Man sieht nur, __was man weiß__«// – Damit warb der //DuMont Verlag// lange Zeit für seine anspruchsvollen Kultur-Reiseführer. Die ersten »Entdecker« hätten also nichts gesehen, wären also eher unfrei in ihrer Wahl gewesen, da sie nichts über ihr Ziel und die Wege dorthin wußten …?\\ 
-//»Man sieht __nur__, was man weiß«.// Den Satz kann man auch anders betonen: Wer seine Sinne auf das fokussiert, was er zu finden erwartet, setzt Scheuklappen auf, begrenzt seine Wahrnehmungen. Dagegen ermöglicht es die naive Offenheit des Unwissenden, staunend Neues zu entdecken: Unerhörtes, Ungesehenes, Unerlesenes, eben »sein eigener Columbus zu sein« (ROX-SCHULZ), das Unerwartete nicht nur willkommen zu heißen sondern vielleicht gar zu provozieren, indem gebahnte Pfade verlassen werden und gerade das nicht zu tun, was die anderen tun. Ein [[wiki:lebensreisestil|Reisestil]], der ein Reisen ins Unbekannte kultivierte, verzichtet auf möglichst perfekte und lückenlose Planung, ermöglicht entdeckendes Reisen ((''Rachael Anthony, Joël Henry'': //The Lonely Planet Guide to Experimental Travel//. 2005)): +//»Man sieht __nur__, was man weiß«.// Den Satz kann man auch anders betonen: Wer seine Sinne auf das fokussiert, was er zu finden erwartet, setzt Scheuklappen auf, begrenzt seine Wahrnehmungen. Dagegen ermöglicht es die naive [[wiki:offenheit|Offenheit]] des Unwissenden, staunend Neues zu entdecken: Unerhörtes, Ungesehenes, Unerlesenes, eben »sein eigener Columbus zu sein« (ROX-SCHULZ), das Unerwartete nicht nur willkommen zu heißen sondern vielleicht gar zu provozieren, indem gebahnte Pfade verlassen werden und gerade das nicht zu tun, was die anderen tun. Ein [[wiki:lebensreisestil|Reisestil]], der ein Reisen ins Unbekannte kultivierte, verzichtet auf möglichst perfekte und lückenlose Planung, ermöglicht entdeckendes Reisen ((''Rachael Anthony, Joël Henry'': //The Lonely Planet Guide to Experimental Travel//. 2005)): 
 //»Ich bin der geborene Expeditionstyp. Ich mache immer und aus jeder Reise, aus jedem Spaziergang etwas Außergewöhnliches.«// ((''Elly Beinhorn'' (*1907 †2007), in einem TV-Interview von 1987, wieder gesendet bei 3Sat am 30.05.07, 19.45 Uhr)) //»Ich bin der geborene Expeditionstyp. Ich mache immer und aus jeder Reise, aus jedem Spaziergang etwas Außergewöhnliches.«// ((''Elly Beinhorn'' (*1907 †2007), in einem TV-Interview von 1987, wieder gesendet bei 3Sat am 30.05.07, 19.45 Uhr))
  
Zeile 69: Zeile 69:
 //»Ich glaube, daß wir Heutigen, die wir daran gewöhnt sind, frei Haus gelieferte Erkenntnisse zu verkonsumieren, weitgehend vergessen haben, daß die Wahrheit ihren Preis hat. Oder wie ein Eskimo-Schamane zu ''Knud Rasmussen'' sagte: Ihr wißt nicht, daß nur der erkennt, der in die Einsamkeit geht und Leiden erträgt. … Die Menschen haben immer wieder die Wahl. Aber bereits die Eva des Alten Testaments gab ja bekanntlich die Geborgenheit des Paradieses hin für die Wahrheit.«// ((''Hans Peter Duerr'': //Traumzeit. Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation//. Syndikat 1978. Insbesondere das Kapitel: //Road Bilong Science//)) //»Ich glaube, daß wir Heutigen, die wir daran gewöhnt sind, frei Haus gelieferte Erkenntnisse zu verkonsumieren, weitgehend vergessen haben, daß die Wahrheit ihren Preis hat. Oder wie ein Eskimo-Schamane zu ''Knud Rasmussen'' sagte: Ihr wißt nicht, daß nur der erkennt, der in die Einsamkeit geht und Leiden erträgt. … Die Menschen haben immer wieder die Wahl. Aber bereits die Eva des Alten Testaments gab ja bekanntlich die Geborgenheit des Paradieses hin für die Wahrheit.«// ((''Hans Peter Duerr'': //Traumzeit. Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation//. Syndikat 1978. Insbesondere das Kapitel: //Road Bilong Science//))
  
-Die Welt dort draußen war einmal eine alltägliche Erfahrung, knapp außerhalb der Dorfhecke oder der Stadtmauer, man lese die Grimmschen Märchen. Was nach draußen gehörte, zeigt sich bereits früh im Zuständigkeitsbereich der antiken Götter: //Hermes// und //Merkur// schützten als [[wiki:reisegoetter|Reisegötter]] die Wege, den Verkehr, die Wanderer, Kaufleute und Hirten, die Diebe, Künstler, die Redekunst, die Magie. Hermes wird als junger Mann mit breitrandiger Kappe und geflügelten Sandalen dargestellt, der einen mit zwei Schlangen gekrönten Heroldstab trägt. Im alten Griechenland garantierte dieser Stab eine sichere Reise, auch in Zeiten des Krieges.\\ +Die Welt dort draußen war einmal eine alltägliche Erfahrung, knapp außerhalb der Dorfhecke oder der Stadtmauer, man lese die Grimmschen Märchen. Was nach draußen gehörte, zeigt sich bereits früh im Zuständigkeitsbereich der antiken Götter: //Hermes// und //Merkur// schützten als [[wiki:reisegoetter|Reisegötter]] die Wege, den Verkehr, die Wanderer, Kaufleute und Hirten, die Diebe, Künstler, die Redekunst, die Magie. Hermes wird als junger Mann mit breitrandiger Kappe und geflügelten Sandalen dargestellt, der einen mit zwei Schlangen gekrönten Heroldstab (Caduceus) trägt. Im alten Griechenland garantierte dieser [[wiki:stab|Stab]] eine sichere Reise, auch in Zeiten des Krieges.\\ 
 Er war der Gott, der die Grenze zwischen den Toten und den Lebenden am einfachsten überquerte. Dieser Grenze entsprach im Alltag der Zaun zwischen Kultur und [[wiki:wildnis|Wildnis]], die Hecke, der Hag. Die Hirten und Schäfer draußen wurden dem ehrlosen Volk zugerechnet und galten als Lehrer der Hexen; das Wort Hexe stammt von Hagazussa, die mit einem Bein in der Wildnis und mit dem anderen in der Kultur steht und auf der Hecke reitet.\\  Er war der Gott, der die Grenze zwischen den Toten und den Lebenden am einfachsten überquerte. Dieser Grenze entsprach im Alltag der Zaun zwischen Kultur und [[wiki:wildnis|Wildnis]], die Hecke, der Hag. Die Hirten und Schäfer draußen wurden dem ehrlosen Volk zugerechnet und galten als Lehrer der Hexen; das Wort Hexe stammt von Hagazussa, die mit einem Bein in der Wildnis und mit dem anderen in der Kultur steht und auf der Hecke reitet.\\ 
 Die Verstoßenen hatten nur diese Welt, verstanden sich allerdings nicht unbedingt als Opfer. Das Leben auf der Landstraße war lange Zeit auch ein alternativer Lebensentwurf, der vielleicht erst durch das aus im Mittelalter entstandene ora et labora abgewertet wurde. Die Verstoßenen hatten nur diese Welt, verstanden sich allerdings nicht unbedingt als Opfer. Das Leben auf der Landstraße war lange Zeit auch ein alternativer Lebensentwurf, der vielleicht erst durch das aus im Mittelalter entstandene ora et labora abgewertet wurde.
Zeile 88: Zeile 88:
 ((''Otfried von Weißenburg'', 800-870, //Liber evangeliorum//)) ((''Otfried von Weißenburg'', 800-870, //Liber evangeliorum//))
  
-In dieser Lehnspyramide entstand die Institution des Urlaubs mit seinen bedingten und befristeten Freiheiten zunächst zwischen König und Adel. Der zur aventiure, zum [[wiki:abenteuer|Abenteuer]], aufbrechende Ritter holte die Erlaubnis seines Lehnsherren ein, um sich der //»wertvollsten Tätigkeit des Menschen«// ((''Michael Nerlich'': //Abenteuer oder das verlorene Selbstverständnis der Moderne.// Gerling München 1997, S. 336)) zu widmen: dem Auszug ins Unbekannte, dem Eingehen von Risiken, dem Kampf gegen den Zufall, der Überraschung, der Neuheit, dem Wandel. Sein [[wiki:motive_des_reisens|Motiv]] war es, sich zu bewähren, heimzukehren und belohnt zu werden: mit Macht, Vermögen, Heirat, nicht nur im Rittersstand, sondern auch im bürgerlichen Stand, etwa als merchant adventurer wie Marco Polo. Die Genossenschaft der //merchant adventurer// erfand die Versicherung, um das Handelsrisiko zu minimieren und den Gewinn zu maximieren ((''Michael Nerlich'': aaO, S. 343)). Zu Beginn der Neuzeit traten [[wiki:erforscher|Entdecker und Erforscher]] dem Club der Abenteurer bei, erwarben Adelsprädikat, Geld und Ehre für sich, insbesondere jedoch Kolonien für die Krone. Für den Abenteurer ist das Abenteuer überaus nützlich ((//»Muß denn alles auf Essen, Trinken und Kleidung hinauslaufen? Dass ich sicherer schlafe oder besser ein Schiff regiere, bequemere Maschinen erfinde, wieder nur um besser zu essen? Ich sage es noch einmal, das wahrhaft Hohe darf und kann nicht nützen; dieses Nützlichsein ist seiner göttlichen Natur ganz fremd«.// ''Ludwig Tieck'': //Franz Sternbalds Wanderungen//, 1798, http://gutenberg.spiegel.de )), ohne Aussicht auf Erfolg und Gewinn unternähme er es nicht. Der Abenteurer ist eben kein Eroberer des Nutzlosen: er minimiert das Risiko, ist versichert, nur befristet sozial entbunden und will über den Umweg in die Fremde in der Heimat erfolgreich sein. In neuerer Zeit wird Urlaub in erster Linie verstanden als Freiheit von etwas (»negative Freiheit«): er befreit von den Pflichten des Alltags, von jeder Verantwortung. Sittlich entfesselt der »Erholungsurlauber« sucht maximalen Lustgewinn, er »läßt die Sau raus«. Das ist legitim, weil es angeblich die Leistungsfähigkeit sichert und die soziale Position erhalten soll. Als Freiheit zu etwas (»positive Freiheit«) wird der Urlaub nur von wenigen genutzt. Als Erlebnisurlaub verbracht, ist Urlaub zudem ein Ritual, das dem Mythos vom Abenteuer huldigt. So gesehen wird auch verständlich, weshalb der Camel-Mann zum Symbol von Abenteuer und Freiheit werden konnte. Tat er doch alles für seine Abhängigkeit, indem er meilenweit für eine Zigarette lief.+In dieser Lehnspyramide entstand die Institution des Urlaubs mit seinen bedingten und befristeten Freiheiten zunächst zwischen König und Adel. Der zur aventiure, zum [[wiki:abenteuer|Abenteuer]], aufbrechende Ritter holte die Erlaubnis seines Lehnsherren ein, um sich der //»wertvollsten Tätigkeit des Menschen«// ((''Michael Nerlich'': //Abenteuer oder das verlorene Selbstverständnis der Moderne.// Gerling München 1997, S. 336)) zu widmen: dem Auszug ins Unbekannte, dem Eingehen von Risiken, dem Kampf gegen den Zufall, der Überraschung, der Neuheit, dem Wandel. Sein [[wiki:motive_des_reisens|Motiv]] war es, sich zu bewähren, heimzukehren und belohnt zu werden: mit Macht, Vermögen, Heirat, nicht nur im Rittersstand, sondern auch im bürgerlichen Stand, etwa als merchant adventurer wie Marco Polo. Die Genossenschaft der //merchant adventurer// erfand die Versicherung, um das Handelsrisiko zu minimieren und den Gewinn zu maximieren ((''Michael Nerlich'': aaO, S. 343)). Zu Beginn der Neuzeit traten [[wiki:erforscher|Entdecker und Erforscher]] dem Club der Abenteurer bei, erwarben Adelsprädikat, Geld und [[wiki:ehre|Ehre]] für sich, insbesondere jedoch Kolonien für die Krone. Für den Abenteurer ist das Abenteuer überaus nützlich ((//»Muß denn alles auf Essen, Trinken und Kleidung hinauslaufen? Dass ich sicherer schlafe oder besser ein Schiff regiere, bequemere Maschinen erfinde, wieder nur um besser zu essen? Ich sage es noch einmal, das wahrhaft Hohe darf und kann nicht nützen; dieses Nützlichsein ist seiner göttlichen Natur ganz fremd«.// ''Ludwig Tieck'': //Franz Sternbalds Wanderungen//, 1798, http://gutenberg.spiegel.de )), ohne Aussicht auf Erfolg und Gewinn unternähme er es nicht. Der Abenteurer ist eben kein Eroberer des Nutzlosen: er minimiert das Risiko, ist versichert, nur befristet sozial entbunden und will über den Umweg in die Fremde in der Heimat erfolgreich sein. In neuerer Zeit wird Urlaub in erster Linie verstanden als Freiheit von etwas (»negative Freiheit«): er befreit von den Pflichten des Alltags, von jeder Verantwortung. Sittlich entfesselt der »Erholungsurlauber« sucht maximalen Lustgewinn, er »läßt die Sau raus«. Das ist legitim, weil es angeblich die Leistungsfähigkeit sichert und die soziale Position erhalten soll. Als Freiheit zu etwas (»positive Freiheit«) wird der Urlaub nur von wenigen genutzt. Als Erlebnisurlaub verbracht, ist Urlaub zudem ein Ritual, das dem Mythos vom Abenteuer huldigt. So gesehen wird auch verständlich, weshalb der Camel-Mann zum Symbol von Abenteuer und Freiheit werden konnte. Tat er doch alles für seine Abhängigkeit, indem er meilenweit für eine Zigarette lief.
  
 ===== 6 Die Freiheit der Nomaden ===== ===== 6 Die Freiheit der Nomaden =====
wiki/freiheit.txt · Zuletzt geändert: 2024/04/30 06:09 von norbert

Donate Powered by PHP Valid HTML5 Valid CSS Driven by DokuWiki