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wiki:freiheit [2019/11/11 10:13] – [7 »Meine Freiheit ist nicht deine Freiheit«] norbertwiki:freiheit [2020/09/25 13:30] norbert
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 Unter den [[wiki:globetrotter|Globetrottern]], die auf jeden einschränkenden Einfluß reagieren wie der Zeiger eines Seismometers, wird im allgemeinen gar nicht viel über Freiheit geredet. Vielleicht, weil jeder jeden mit seiner Freiheit machen läßt, was er will: aufzubrechen, sich anders zu entscheiden, Fehler zu machen, eben selbst zu bestimmen, welcher Weg einzuschlagen ist. Unter den [[wiki:globetrotter|Globetrottern]], die auf jeden einschränkenden Einfluß reagieren wie der Zeiger eines Seismometers, wird im allgemeinen gar nicht viel über Freiheit geredet. Vielleicht, weil jeder jeden mit seiner Freiheit machen läßt, was er will: aufzubrechen, sich anders zu entscheiden, Fehler zu machen, eben selbst zu bestimmen, welcher Weg einzuschlagen ist.
-Individuelle Freiheit ((Als Möglichkeit, selbstbestimmt zwischen verschiedenen Handlungen zu wählen und zu entscheiden oder auch etwas Neues zu erschaffen (Autonomie), eng verbunden mit Selbstverwirklichung und Eigenverantwortung.)) steht bei Globetrottern in hohem Kurs. Doch frei zu reisen ist nicht+Individuelle Freiheit ((Als Möglichkeit, selbstbestimmt zwischen verschiedenen Handlungen zu wählen und zu entscheiden oder auch etwas Neues zu erschaffen ([[wiki:Autonomie|Autonomie]]), eng verbunden mit Selbstverwirklichung und Eigenverantwortung.)) steht bei Globetrottern in hohem Kurs. Doch frei zu reisen ist nicht
 jedermanns Sache (Abschnitt 1) und auch die innere Freiheit muß erworben werden jedermanns Sache (Abschnitt 1) und auch die innere Freiheit muß erworben werden
 (Abschnitt 2). Solches Freiheitsverständnisses nährt sich aus mehreren Wurzeln, die (Abschnitt 2). Solches Freiheitsverständnisses nährt sich aus mehreren Wurzeln, die
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 Doch kann man tatsächlich Ziele wählen, sich zwischen Wegen entscheiden, ohne die Möglichkeiten zu kennen? Um zu wissen, wohin ich will, muß ich da nicht erst einmal wissen, was es gibt? Also hätte derjenige die größte Wahlfreiheit, der am meisten über die Welt weiß? Der die meisten Reiseführer gelesen, die meisten TV-Sendungen gesehen, die intensivste Internetrecherche betrieben hätte?\\  Doch kann man tatsächlich Ziele wählen, sich zwischen Wegen entscheiden, ohne die Möglichkeiten zu kennen? Um zu wissen, wohin ich will, muß ich da nicht erst einmal wissen, was es gibt? Also hätte derjenige die größte Wahlfreiheit, der am meisten über die Welt weiß? Der die meisten Reiseführer gelesen, die meisten TV-Sendungen gesehen, die intensivste Internetrecherche betrieben hätte?\\ 
 //»Man sieht nur, __was man weiß__«// – Damit warb der //DuMont Verlag// lange Zeit für seine anspruchsvollen Kultur-Reiseführer. Die ersten »Entdecker« hätten also nichts gesehen, wären also eher unfrei in ihrer Wahl gewesen, da sie nichts über ihr Ziel und die Wege dorthin wußten …?\\  //»Man sieht nur, __was man weiß__«// – Damit warb der //DuMont Verlag// lange Zeit für seine anspruchsvollen Kultur-Reiseführer. Die ersten »Entdecker« hätten also nichts gesehen, wären also eher unfrei in ihrer Wahl gewesen, da sie nichts über ihr Ziel und die Wege dorthin wußten …?\\ 
-//»Man sieht __nur__, was man weiß«.// Den Satz kann man auch anders betonen: Wer seine Sinne auf das fokussiert, was er zu finden erwartet, setzt Scheuklappen auf, begrenzt seine Wahrnehmungen. Dagegen ermöglicht es die naive Offenheit des Unwissenden, staunend Neues zu entdecken: Unerhörtes, Ungesehenes, Unerlesenes, eben »sein eigener Columbus zu sein« (ROX-SCHULZ), das Unerwartete nicht nur willkommen zu heißen sondern vielleicht gar zu provozieren, indem gebahnte Pfade verlassen werden und gerade das nicht zu tun, was die anderen tun. Ein [[wiki:lebensreisestil|Reisestil]], der ein Reisen ins Unbekannte kultivierte, verzichtet auf möglichst perfekte und lückenlose Planung, ermöglicht entdeckendes Reisen ((''Rachael Anthony, Joël Henry'': //The Lonely Planet Guide to Experimental Travel//. 2005)): +//»Man sieht __nur__, was man weiß«.// Den Satz kann man auch anders betonen: Wer seine Sinne auf das fokussiert, was er zu finden erwartet, setzt Scheuklappen auf, begrenzt seine Wahrnehmungen. Dagegen ermöglicht es die naive [[wiki:offenheit|Offenheit]] des Unwissenden, staunend Neues zu entdecken: Unerhörtes, Ungesehenes, Unerlesenes, eben »sein eigener Columbus zu sein« (ROX-SCHULZ), das Unerwartete nicht nur willkommen zu heißen sondern vielleicht gar zu provozieren, indem gebahnte Pfade verlassen werden und gerade das nicht zu tun, was die anderen tun. Ein [[wiki:lebensreisestil|Reisestil]], der ein Reisen ins Unbekannte kultivierte, verzichtet auf möglichst perfekte und lückenlose Planung, ermöglicht entdeckendes Reisen ((''Rachael Anthony, Joël Henry'': //The Lonely Planet Guide to Experimental Travel//. 2005)): 
 //»Ich bin der geborene Expeditionstyp. Ich mache immer und aus jeder Reise, aus jedem Spaziergang etwas Außergewöhnliches.«// ((''Elly Beinhorn'' (*1907 †2007), in einem TV-Interview von 1987, wieder gesendet bei 3Sat am 30.05.07, 19.45 Uhr)) //»Ich bin der geborene Expeditionstyp. Ich mache immer und aus jeder Reise, aus jedem Spaziergang etwas Außergewöhnliches.«// ((''Elly Beinhorn'' (*1907 †2007), in einem TV-Interview von 1987, wieder gesendet bei 3Sat am 30.05.07, 19.45 Uhr))
  
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 Viele Zwänge sind selbst erzeugt, viele Grenzen selbst gezogen. Die Freiheit des Denkens kann die Grenzen des Möglichen weit überschreiten: Wunschträume, Ideen, Vorstellungen, Phantasien … bilden die Grundlage jedes selbstbestimmten Wollens und jeder Reise, auch wenn es manchmal zur Einbildung, Traumtänzerei, Phantasterei gerät.\\ Die Freiheit des Wollens schafft und gestaltet neue Wahlmöglichkeiten. Globetrotter sind talentiert im Finden von Auswegen und Schlupflöchern, denn: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Indem der Mensch sich von inneren Zwängen befreit (Triebe, Erwartungen, Gewohnheiten, Rollenmuster, Konventionen, Moralvorstellungen …) und seine Fähigkeiten nutzt, erwirbt er individuelle Souveränität. Viele Zwänge sind selbst erzeugt, viele Grenzen selbst gezogen. Die Freiheit des Denkens kann die Grenzen des Möglichen weit überschreiten: Wunschträume, Ideen, Vorstellungen, Phantasien … bilden die Grundlage jedes selbstbestimmten Wollens und jeder Reise, auch wenn es manchmal zur Einbildung, Traumtänzerei, Phantasterei gerät.\\ Die Freiheit des Wollens schafft und gestaltet neue Wahlmöglichkeiten. Globetrotter sind talentiert im Finden von Auswegen und Schlupflöchern, denn: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Indem der Mensch sich von inneren Zwängen befreit (Triebe, Erwartungen, Gewohnheiten, Rollenmuster, Konventionen, Moralvorstellungen …) und seine Fähigkeiten nutzt, erwirbt er individuelle Souveränität.
  
-Globetrotter praktizieren selbst reisend solche Souveränität des Freien Handelns. Die dabei gewonnenen Erfahrungen ermöglichen es wiederum, in der heimatlichen Umgebung souveräner zu denken, zu entscheiden und zu handeln als andere dies tun und sich damit auch von äußeren Zwängen frei zu machen.+Globetrotter praktizieren selbst reisend solche [[wiki:souveraenitat|Souveränität]] des Freien Handelns. Die dabei gewonnenen Erfahrungen ermöglichen es wiederum, in der heimatlichen Umgebung souveräner zu denken, zu entscheiden und zu handeln als andere dies tun und sich damit auch von äußeren Zwängen frei zu machen.
  
 ===== 3 Die Freiheit der Landstraße ===== ===== 3 Die Freiheit der Landstraße =====
-//„Sieh,“ sprach Gott, „ich habe dich nicht anders brauchen können, als wie du bist, und ich habe dir den Stachel der Heimatlosigkeit und Wanderschaft mitgeben müssen, sonst wärst du irgendwo sitzengeblieben und hättest mir mein Spiel verdorben. In meinem Namen bist du gewandert und hast den seßhaften Leuten immer wieder ein wenig Heimweh nach Freiheit mitbringen müssen.“// ((''Herrmann Hesse'': //Des Landstreichers Lebensaufgabe//, aus: //Knulp//. [Ein Nachfahre des Taugenichts, ein Vagabund, der es zu nichts Rechtem gebracht hat, ein Entgleister, der nicht in die geregelte Ordnung nüchterner Arbeits- und Berufsmenschen paßt. Aber dieser träumende Schlendrian mit seiner Kinderseele verbirgt hinter seiner heiteren Seite, die den Menschen Freude, ihnen Spiel und Vergnügen bringt, einen zweiten Knulp, einen einsamen, heimatlosen Menschen, dem es bestimmt ist zu wandern, sich immer wieder auf und davon zu machen, an keinem Ort Wurzeln zu schlagen. Das Freisein von Bindungen muß mit dem Verzicht auf ein bürgerliches Glück, auf Familie und Häuslichkeit, erkauft werden. www.hhesse.de/werk.php?load=knulp))+//„Sieh,“ sprach Gott, „ich habe dich nicht anders brauchen können, als wie du bist, und ich habe dir den Stachel der Heimatlosigkeit und Wanderschaft mitgeben müssen, sonst wärst du irgendwo sitzengeblieben und hättest mir mein Spiel verdorben. In meinem Namen bist du gewandert und hast den seßhaften Leuten immer wieder ein wenig Heimweh nach Freiheit mitbringen müssen.“// ((''Herrmann Hesse'': //Des Landstreichers Lebensaufgabe//, aus: //Knulp//. [Ein Nachfahre des Taugenichts, ein Vagabund, der es zu nichts Rechtem gebracht hat, ein Entgleister, der nicht in die geregelte Ordnung nüchterner Arbeits- und Berufsmenschen paßt. Aber dieser träumende Schlendrian mit seiner Kinderseele verbirgt hinter seiner heiteren Seite, die den Menschen *[[wiki:freude|Freude]], ihnen Spiel und Vergnügen bringt, einen zweiten Knulp, einen einsamen, heimatlosen Menschen, dem es bestimmt ist zu wandern, sich immer wieder auf und davon zu machen, an keinem Ort Wurzeln zu schlagen. Das Freisein von Bindungen muß mit dem Verzicht auf ein bürgerliches Glück, auf Familie und Häuslichkeit, erkauft werden. www.hhesse.de/werk.php?load=knulp))
  
 [[wiki:fahrendes_volk|Fahrende Leute]] bevölkerten die Straßen, bevor es Ritter und Adel, Bauer und Bürger gab ((''Theodor Hampe'': //Die fahrenden Leute//. Jena 1924)). [[wiki:fahrendes_volk|Fahrende Leute]] bevölkerten die Straßen, bevor es Ritter und Adel, Bauer und Bürger gab ((''Theodor Hampe'': //Die fahrenden Leute//. Jena 1924)).
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 //»Ich glaube, daß wir Heutigen, die wir daran gewöhnt sind, frei Haus gelieferte Erkenntnisse zu verkonsumieren, weitgehend vergessen haben, daß die Wahrheit ihren Preis hat. Oder wie ein Eskimo-Schamane zu ''Knud Rasmussen'' sagte: Ihr wißt nicht, daß nur der erkennt, der in die Einsamkeit geht und Leiden erträgt. … Die Menschen haben immer wieder die Wahl. Aber bereits die Eva des Alten Testaments gab ja bekanntlich die Geborgenheit des Paradieses hin für die Wahrheit.«// ((''Hans Peter Duerr'': //Traumzeit. Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation//. Syndikat 1978. Insbesondere das Kapitel: //Road Bilong Science//)) //»Ich glaube, daß wir Heutigen, die wir daran gewöhnt sind, frei Haus gelieferte Erkenntnisse zu verkonsumieren, weitgehend vergessen haben, daß die Wahrheit ihren Preis hat. Oder wie ein Eskimo-Schamane zu ''Knud Rasmussen'' sagte: Ihr wißt nicht, daß nur der erkennt, der in die Einsamkeit geht und Leiden erträgt. … Die Menschen haben immer wieder die Wahl. Aber bereits die Eva des Alten Testaments gab ja bekanntlich die Geborgenheit des Paradieses hin für die Wahrheit.«// ((''Hans Peter Duerr'': //Traumzeit. Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation//. Syndikat 1978. Insbesondere das Kapitel: //Road Bilong Science//))
  
-Die Welt dort draußen war einmal eine alltägliche Erfahrung, knapp außerhalb der Dorfhecke oder der Stadtmauer, man lese die Grimmschen Märchen. Was nach draußen gehörte, zeigt sich bereits früh im Zuständigkeitsbereich der antiken Götter: //Hermes// und //Merkur// schützten als [[wiki:reisegoetter|Reisegötter]] die Wege, den Verkehr, die Wanderer, Kaufleute und Hirten, die Diebe, Künstler, die Redekunst, die Magie. Hermes wird als junger Mann mit breitrandiger Kappe und geflügelten Sandalen dargestellt, der einen mit zwei Schlangen gekrönten Heroldstab trägt. Im alten Griechenland garantierte dieser Stab eine sichere Reise, auch in Zeiten des Krieges.\\ +Die Welt dort draußen war einmal eine alltägliche Erfahrung, knapp außerhalb der Dorfhecke oder der Stadtmauer, man lese die Grimmschen Märchen. Was nach draußen gehörte, zeigt sich bereits früh im Zuständigkeitsbereich der antiken Götter: //Hermes// und //Merkur// schützten als [[wiki:reisegoetter|Reisegötter]] die Wege, den Verkehr, die Wanderer, Kaufleute und Hirten, die Diebe, Künstler, die Redekunst, die Magie. Hermes wird als junger Mann mit breitrandiger Kappe und geflügelten Sandalen dargestellt, der einen mit zwei Schlangen gekrönten Heroldstab (Caduceus) trägt. Im alten Griechenland garantierte dieser [[wiki:stab|Stab]] eine sichere Reise, auch in Zeiten des Krieges.\\ 
 Er war der Gott, der die Grenze zwischen den Toten und den Lebenden am einfachsten überquerte. Dieser Grenze entsprach im Alltag der Zaun zwischen Kultur und [[wiki:wildnis|Wildnis]], die Hecke, der Hag. Die Hirten und Schäfer draußen wurden dem ehrlosen Volk zugerechnet und galten als Lehrer der Hexen; das Wort Hexe stammt von Hagazussa, die mit einem Bein in der Wildnis und mit dem anderen in der Kultur steht und auf der Hecke reitet.\\  Er war der Gott, der die Grenze zwischen den Toten und den Lebenden am einfachsten überquerte. Dieser Grenze entsprach im Alltag der Zaun zwischen Kultur und [[wiki:wildnis|Wildnis]], die Hecke, der Hag. Die Hirten und Schäfer draußen wurden dem ehrlosen Volk zugerechnet und galten als Lehrer der Hexen; das Wort Hexe stammt von Hagazussa, die mit einem Bein in der Wildnis und mit dem anderen in der Kultur steht und auf der Hecke reitet.\\ 
 Die Verstoßenen hatten nur diese Welt, verstanden sich allerdings nicht unbedingt als Opfer. Das Leben auf der Landstraße war lange Zeit auch ein alternativer Lebensentwurf, der vielleicht erst durch das aus im Mittelalter entstandene ora et labora abgewertet wurde. Die Verstoßenen hatten nur diese Welt, verstanden sich allerdings nicht unbedingt als Opfer. Das Leben auf der Landstraße war lange Zeit auch ein alternativer Lebensentwurf, der vielleicht erst durch das aus im Mittelalter entstandene ora et labora abgewertet wurde.
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 Die Wendung //frei und ungebunden// ((britisch: footloose and fancy-free)) zu sein, irritiert: Man ist doch frei, weil man ungebunden ist? Oder ist umgekehrt, wer sich frei von Bindungen wähnt, überhaupt befreit? Der Vagabund des Mittelalters war frei im Gegensatz zu beherrschten und gebundenen Bauern und Bürgern. In einer früheren Zeit jedoch gab es auch seßhaft Freie. Die Wendung //frei und ungebunden// ((britisch: footloose and fancy-free)) zu sein, irritiert: Man ist doch frei, weil man ungebunden ist? Oder ist umgekehrt, wer sich frei von Bindungen wähnt, überhaupt befreit? Der Vagabund des Mittelalters war frei im Gegensatz zu beherrschten und gebundenen Bauern und Bürgern. In einer früheren Zeit jedoch gab es auch seßhaft Freie.
  
-Damals meinte frei die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft von Gleichberechtigten, die weder abhängig, noch versklavt noch untertänig waren, sondern autark und souverän auf eigenem Boden herrschten – ohne äußere Herrschaft. Nur in diesem Miteinander und Dazugehören gab es Sicherheit und Geborgenheit mit Heim und Haus, Familie, Freunden und Nachbarschaft. Man band sich an diese Werte aus innerer Überzeugung, nicht durch die Gewalt eines Oberen. Jeder tat frei und willig das Seine, damit die Gemeinschaft ((Z.B. agnatisch-genossenschaftlicher Geschlechterverband, Schwurbrüderschaft von Sippen, Siedlungsgenossenschaft)) erhalten bliebe zum Wohle aller. Nicht die maximale Handlungsfreiheit des Einzelnen wurde angestrebt, sondern eine optimale Handlungsfreiheit für alle. Diese Form sozialer Bindung vermittelte das Gefühl von Freiheit. Die Eid-Genossen gründeten auf diesem Prinzip 1291 die Schweiz, der »Rütli-Schwur« stand an deren Anfang. Schillers Wilhelm Tell steht für dieses Freiheitsverständnis.+Damals meinte frei die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft von Gleichberechtigten, die weder abhängig, noch versklavt noch untertänig waren, sondern [[wiki:autarkie|autark]] und [[wiki:souveraenitat|souverän]] auf eigenem Boden herrschten – ohne äußere Herrschaft. Nur in diesem Miteinander und Dazugehören gab es Sicherheit und Geborgenheit mit Heim und Haus, Familie, Freunden und Nachbarschaft. Man band sich an diese Werte aus innerer Überzeugung, nicht durch die Gewalt eines Oberen. Jeder tat frei und willig das Seine, damit die Gemeinschaft ((Z.B. agnatisch-genossenschaftlicher Geschlechterverband, Schwurbrüderschaft von Sippen, Siedlungsgenossenschaft)) erhalten bliebe zum Wohle aller. Nicht die maximale Handlungsfreiheit des Einzelnen wurde angestrebt, sondern eine optimale Handlungsfreiheit für alle. Diese Form sozialer Bindung vermittelte das Gefühl von Freiheit. Die Eid-Genossen gründeten auf diesem Prinzip 1291 die Schweiz, der »Rütli-Schwur« stand an deren Anfang. Schillers Wilhelm Tell steht für dieses Freiheitsverständnis.
  
 Das Ende dieses umfassenden Lebensverständnisses begann, als sich im Mittelalter die Stände von Ritter und Bürger bildeten. Erst damit entstand der »an die Scholle gebundene« Bauer. 1538 erwähnt der Chronist den Freibauern als außergewöhnlich ((''Theodor Kantzow'' über die Bauern in Pommern und Rügen, in: //Chronik von Pommern// 1538)). Die freie Bauernrepublik Dithmarschen endete 1559, vergleichbare Ansätze gab es im Bregenzerwald und in Gotland, in den sieben freien Gemeinden der norditalienischen Alpen oder in den sieben freien Hagen an der Weser. Die Rechte der letzten Freiherren als Souverän auf eigenem Land wurden vom //Wiener Kongreß// 1814 getilgt. Das Ende dieses umfassenden Lebensverständnisses begann, als sich im Mittelalter die Stände von Ritter und Bürger bildeten. Erst damit entstand der »an die Scholle gebundene« Bauer. 1538 erwähnt der Chronist den Freibauern als außergewöhnlich ((''Theodor Kantzow'' über die Bauern in Pommern und Rügen, in: //Chronik von Pommern// 1538)). Die freie Bauernrepublik Dithmarschen endete 1559, vergleichbare Ansätze gab es im Bregenzerwald und in Gotland, in den sieben freien Gemeinden der norditalienischen Alpen oder in den sieben freien Hagen an der Weser. Die Rechte der letzten Freiherren als Souverän auf eigenem Land wurden vom //Wiener Kongreß// 1814 getilgt.
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 ((''Otfried von Weißenburg'', 800-870, //Liber evangeliorum//)) ((''Otfried von Weißenburg'', 800-870, //Liber evangeliorum//))
  
-In dieser Lehnspyramide entstand die Institution des Urlaubs mit seinen bedingten und befristeten Freiheiten zunächst zwischen König und Adel. Der zur aventiure, zum [[wiki:abenteuer|Abenteuer]], aufbrechende Ritter holte die Erlaubnis seines Lehnsherren ein, um sich der //»wertvollsten Tätigkeit des Menschen«// ((''Michael Nerlich'': //Abenteuer oder das verlorene Selbstverständnis der Moderne.// Gerling München 1997, S. 336)) zu widmen: dem Auszug ins Unbekannte, dem Eingehen von Risiken, dem Kampf gegen den Zufall, der Überraschung, der Neuheit, dem Wandel. Sein [[wiki:motive_des_reisens|Motiv]] war es, sich zu bewähren, heimzukehren und belohnt zu werden: mit Macht, Vermögen, Heirat, nicht nur im Rittersstand, sondern auch im bürgerlichen Stand, etwa als merchant adventurer wie Marco Polo. Die Genossenschaft der //merchant adventurer// erfand die Versicherung, um das Handelsrisiko zu minimieren und den Gewinn zu maximieren ((''Michael Nerlich'': aaO, S. 343)). Zu Beginn der Neuzeit traten [[wiki:erforscher|Entdecker und Erforscher]] dem Club der Abenteurer bei, erwarben Adelsprädikat, Geld und Ehre für sich, insbesondere jedoch Kolonien für die Krone. Für den Abenteurer ist das Abenteuer überaus nützlich ((//»Muß denn alles auf Essen, Trinken und Kleidung hinauslaufen? Dass ich sicherer schlafe oder besser ein Schiff regiere, bequemere Maschinen erfinde, wieder nur um besser zu essen? Ich sage es noch einmal, das wahrhaft Hohe darf und kann nicht nützen; dieses Nützlichsein ist seiner göttlichen Natur ganz fremd«.// ''Ludwig Tieck'': //Franz Sternbalds Wanderungen//, 1798, http://gutenberg.spiegel.de )), ohne Aussicht auf Erfolg und Gewinn unternähme er es nicht. Der Abenteurer ist eben kein Eroberer des Nutzlosen: er minimiert das Risiko, ist versichert, nur befristet sozial entbunden und will über den Umweg in die Fremde in der Heimat erfolgreich sein. In neuerer Zeit wird Urlaub in erster Linie verstanden als Freiheit von etwas (»negative Freiheit«): er befreit von den Pflichten des Alltags, von jeder Verantwortung. Sittlich entfesselt der »Erholungsurlauber« sucht maximalen Lustgewinn, er »läßt die Sau raus«. Das ist legitim, weil es angeblich die Leistungsfähigkeit sichert und die soziale Position erhalten soll. Als Freiheit zu etwas (»positive Freiheit«) wird der Urlaub nur von wenigen genutzt. Als Erlebnisurlaub verbracht, ist Urlaub zudem ein Ritual, das dem Mythos vom Abenteuer huldigt. So gesehen wird auch verständlich, weshalb der Camel-Mann zum Symbol von Abenteuer und Freiheit werden konnte. Tat er doch alles für seine Abhängigkeit, indem er meilenweit für eine Zigarette lief.+In dieser Lehnspyramide entstand die Institution des Urlaubs mit seinen bedingten und befristeten Freiheiten zunächst zwischen König und Adel. Der zur aventiure, zum [[wiki:abenteuer|Abenteuer]], aufbrechende Ritter holte die Erlaubnis seines Lehnsherren ein, um sich der //»wertvollsten Tätigkeit des Menschen«// ((''Michael Nerlich'': //Abenteuer oder das verlorene Selbstverständnis der Moderne.// Gerling München 1997, S. 336)) zu widmen: dem Auszug ins Unbekannte, dem Eingehen von Risiken, dem Kampf gegen den Zufall, der Überraschung, der Neuheit, dem Wandel. Sein [[wiki:motive_des_reisens|Motiv]] war es, sich zu bewähren, heimzukehren und belohnt zu werden: mit Macht, Vermögen, Heirat, nicht nur im Rittersstand, sondern auch im bürgerlichen Stand, etwa als merchant adventurer wie Marco Polo. Die Genossenschaft der //merchant adventurer// erfand die Versicherung, um das Handelsrisiko zu minimieren und den Gewinn zu maximieren ((''Michael Nerlich'': aaO, S. 343)). Zu Beginn der Neuzeit traten [[wiki:erforscher|Entdecker und Erforscher]] dem Club der Abenteurer bei, erwarben Adelsprädikat, Geld und [[wiki:ehre|Ehre]] für sich, insbesondere jedoch Kolonien für die Krone. Für den Abenteurer ist das Abenteuer überaus nützlich ((//»Muß denn alles auf Essen, Trinken und Kleidung hinauslaufen? Dass ich sicherer schlafe oder besser ein Schiff regiere, bequemere Maschinen erfinde, wieder nur um besser zu essen? Ich sage es noch einmal, das wahrhaft Hohe darf und kann nicht nützen; dieses Nützlichsein ist seiner göttlichen Natur ganz fremd«.// ''Ludwig Tieck'': //Franz Sternbalds Wanderungen//, 1798, http://gutenberg.spiegel.de )), ohne Aussicht auf Erfolg und Gewinn unternähme er es nicht. Der Abenteurer ist eben kein Eroberer des Nutzlosen: er minimiert das Risiko, ist versichert, nur befristet sozial entbunden und will über den Umweg in die Fremde in der Heimat erfolgreich sein. In neuerer Zeit wird Urlaub in erster Linie verstanden als Freiheit von etwas (»negative Freiheit«): er befreit von den Pflichten des Alltags, von jeder Verantwortung. Sittlich entfesselt der »Erholungsurlauber« sucht maximalen Lustgewinn, er »läßt die Sau raus«. Das ist legitim, weil es angeblich die Leistungsfähigkeit sichert und die soziale Position erhalten soll. Als Freiheit zu etwas (»positive Freiheit«) wird der Urlaub nur von wenigen genutzt. Als Erlebnisurlaub verbracht, ist Urlaub zudem ein Ritual, das dem Mythos vom Abenteuer huldigt. So gesehen wird auch verständlich, weshalb der Camel-Mann zum Symbol von Abenteuer und Freiheit werden konnte. Tat er doch alles für seine Abhängigkeit, indem er meilenweit für eine Zigarette lief.
  
 ===== 6 Die Freiheit der Nomaden ===== ===== 6 Die Freiheit der Nomaden =====
wiki/freiheit.txt · Zuletzt geändert: 2024/04/30 06:09 von norbert

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